Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Ahornsirup. Gespräche mit westfälischen Bauern habe es auch schon gegeben, so dass »eine übernationale, gesamtdeutsche Antwort auf die Sirupfrage – und das ist bei Gott ein Novum!« – denkbar wäre.
»Und was kann ich dazu beitragen?«, fragte ich.
Er spreche so wenig Französisch, dass es nicht einmal dafür reiche, im Hotel einzuchecken. Meine Schwiegermutter widersprach ihm. Was ein Kompliment hätte sein können. Man hätte denken können, sie traue ihrem Mann mehr zu als er sich selbst. Tat sie aber nicht. Die Wahrheit hat einen Hang zur Nörgelei, das wusste sie und nahm sich zusammen.
Vom Flughafen Paris Orly fuhren wir in eine trostlose Zwei-Sterne-Absteige am Fuß des Montmartre, schrieben uns als Gäste ein, während das Taxi mit unserem Gepäck draußen wartete, und ließen uns anschließend in das Hôtel Scribe mit den fünf Sternen in der Nähe der Opéra Garnier bringen, eines der vornehmsten Häuser der Stadt. Dort waren zwei sonnendurchflutete Suiten für uns reserviert. Ich fragte Hagen nicht, wer das bezahlte, ich vermutete, dieselbe Stelle, die auch die Rechnung für das billige Hotel übernahm, auch eine Art doppelter Buchführung.
»Geht es dir zu schnell?«, fragte er nur.
»Ein bisschen schnell, ja«, sagte ich.
Seit ich den Koffer für die Reise gepackt hatte, waren erst wenige Stunden vergangen. Am Vormittag war ich noch auf dem Podium gestanden, um meine letzte Vorlesung vor den Semesterferien zu halten. Sie wäre beinahe in einen Tumult ausgeartet. Ich hatte nämlich, spontan und ohne tiefere Überlegung, angekündigt, der Titel meiner nächsten Vorlesung werde sein Gott ist nicht und deshalb ist er – eine Formulierung, die ich auf die bewährte Weise nach dem Zufallsprinzip aus einem Buch abgeschrieben hatte, einem Buch über den mittelalterlichen Philosophen Johannes Scotus Eriugena, der mir bis dahin nie begegnet war. Torsten Grimm, mein Assistent, hatte vor dem Plenum angekündigt, ich würde im Sommersemester nur eine begrenzte Anzahl Studierender zulassen. Nach der Vorlesung waren die Studenten auf ihn losgestürmt, jeder wollte, dass er seine Anmeldung entgegennehme. Ich hatte mich davongeschlichen. Während ich zu Hause Hemden, Pullover und Unterwäsche in den Koffer stapelte, überlegte ich, welche Bücher ich nach Paris mitnehmen sollte, um mich wenigstens ein bisschen in das Thema – in dem ich in Wahrheit nichts anderes als eine Absurdität sah – einzulesen. In meinem Regal standen zwei fleckige braune Bände, die ich mir schon vor längerer Zeit aus der Bibliothek ausgeliehen hatte – Johann Eduard Erdmann: Grundriss der Geschichte der Philosophie aus dem Jahr 1866. Ich hatte nie einen Blick hineingeworfen; sie standen neben dem stattlichen grünen Band mit der geprägten Goldschrift über die Österreichisch-Ungarischen Nordpol-Expedition. Und da entschied ich mich für diesen – und für Joel Spazierer, der in seinen Buchdeckeln schlummerte. Was von meinem Westgeld übrig geblieben war – von den D-Mark wenig, Schilling und Dollar dagegen hatte ich nicht angerührt –, steckte ich in die Ledertasche, die ich mir am Beginn meiner universitären Karriere besorgt hatte, um nicht blank zu meinen Vorlesungen zu erscheinen; meine Notizhefte packte ich dazu. Mein Transistorradio ließ ich zurück – mit schlechtem Gewissen. Ich blickte mich in meinem Zimmer um, in dem nichts war, was ich ausgesucht hatte, und dachte, wer weiß, ob ich all das je wiedersehen werde. Lenchen und Dortchen waren inzwischen vier Jahre alt. Das Gute, das seine Wurzeln bis in ihre Herzen treiben könnte, hatte ich ihnen gegeben. Böse war ich nie zu ihnen gewesen. Bestimmt würde das Böse sich nicht abhalten lassen, es lässt sich niemals abhalten, also: Wenn ich jetzt gehe, dachte ich, wird das Böse nicht durch mich über sie kommen, wenigstens bei diesen beiden nicht. Ich ließ die Bände über die mittelalterliche Philosophie im Regal stehen und verstaute die Nordpolexpedition im Koffer.
Unsere Reise war auf sechzehn Tage geplant. Die erste Woche verbrachten wir in Paris. Wir frühstückten gemeinsam in der Konditorei des Hotels, nahmen den süßen Duft in unseren Kleidern mit in den Tag hinaus, trafen uns vor dem Abendessen in der Bar, den Rest ging jeder seiner Wege. Ich habe Hagen nicht oft mit Franzosen reden hören, aber wenn, dann bestand kein Zweifel, dass er um Stadienlängen mehr Französisch konnte, als zum Einchecken in einem Hotel nötig war. Warum hatte er so
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