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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ich keine. Dann bog der Fahrer ab, die Häuser rückten näher heran, und die Fahrbahn wurde so löchrig, dass wir im Schritttempo fahren mussten. Der Fahrer griff nach hinten und drückte die Zäpfchen an den Türen hinunter.
    Frau Prof. Jirtler schlotterte neben mir. Sie fragte, ob sie sich an meinen Mantel drücken dürfe. Ich legte den Arm um sie. Okay, sagte sie, sie gestehe, sie habe Prof. Lenz ausgebremst, und klapperte dabei mit den Zähnen. Sie roch nach ihren selbstgedrehten Zigaretten. Ich ekelte mich nicht vor ihr. Ich hob die Beine, und sie schob die ihren unter mich, so bekam sie ein bisschen Wärme von meinem sensationellen Mantel.
    Der Fahrer hatte mich verstanden und missverstanden. Es war eine Kneipe. Sie war urig, und sie war geheizt. Sie war überheizt sogar. Es war eine Spielerkneipe, ein aus Sperrholzplatten zusammengenagelter Kasten ohne Fenster unter der Halle eines Bahnhofs. Schach wurde gespielt. Männer und Frauen in Mänteln oder nur in Hemden standen eng beieinander, kein Lippenpaar ohne Zigarette, kein Mund mit zweiunddreißig Zähnen. Angeschaut hat uns keiner. An den Tischen saßen die Spieler, über ihren Rücken beugten sich die Kiebitze. Wenn Frau Prof. Jirtler gesagt hatte, sie habe keine Lust auf Schach, so konnte das richtig und falsch sein und beides zugleich. Lust auf Schach kannte sie nämlich nicht; sie war süchtig nach Schach. Und es war für sie unmöglich, nur zuzusehen, wenn gespielt wurde. Zu essen gab es eine rötlich graue dicke Suppe, dazu gelblich graues Brot und Wodka. Mit viel Pfeffer wäre die Suppe besser gewesen. Aber Pfeffer gab es nicht.
    Nach einer Viertelstunde bereits saß Frau Prof. Jirtler vor einem Schachbrett. Sie spielte und verlor, und ich zahlte. Sie spielte und verlor wieder, und wieder zahlte ich. Die Spieler waren nun sehr interessiert an uns. Ich nahm an, für den Taxifahrer fiel ein Kleines ab, wenn er Kundschaft wie uns brachte. Sattes Geschäft während der Schachweltmeisterschaft, bei der ein Russe gegen einen Armenier spielte. Frau Prof. Jirtler verlor auch die dritte Partie und verlor auch die vierte. Und ich zahlte.
    Nach der fünften verlorenen Partie blickte sie vom Brett auf in die Gesichter und präsentierte die gravitätische Hässlichkeit ihres Mundes. Ohne mich anzusehen, fragte sie, ob ich noch Geld hätte. Nicht mehr viel, sagte ich. Sie nickte, klatschte in die Hände und erhob sich. Sie tat, als ob sie aufhören wollte. Sie wurde gelobt – ich übersetzte –, sie wurde ermutigt, ihr wurde geschmeichelt – ich übersetzte und bekam dafür einen Wodka spendiert. Also spielte Frau Prof. Jirtler eine sechste Partie, und die gewann sie. Alle waren glücklich und applaudierten. Und jeder dachte, ihr Gegner habe sie gewinnen lassen. Und das hatte er wahrscheinlich auch. Schnaps für sie und mich. Man fragte uns, woher wir kommen.
    »Hat er Sie gefragt, woher wir kommen?«
    »Hat er.«
    »Sagen Sie, aus Österreich.«
    Ich sagte, wir kommen aus Österreich. »Мы из Австрии.«
    Frau Prof. Jirtler spielte und verlor. Sie spielte, bis unser letztes Geld draußen war. Dann erst drehte sie den Spieß um.
    Sie machte es wie die Spieler im Café Museum in Wien. Ein Trick, den jeder Schachspieler in jeder Schachkneipe der Welt kennt. Aber warum sollte nicht jeder Schachspieler in jeder Schachkneipe der Welt darauf hereinfallen? Ein Könner, der einen Nichtkönner spielt, ist von einem tatsächlichen Nichtkönner nicht zu unterscheiden, jedenfalls nicht, wenn es ein wirklicher Könner ist.
    Sie gewann alles zurück. Das Geld steckte ich ein.
    Ich sagte, sie solle es gut sein lassen. Aber ein Mensch wie Frau Prof. Jirtler will sich zu jeder Zeit ihres wachen Tages – von ihren Träumen weiß ich nichts – an jedem Menschen rächen. Deshalb kann sie nie, niemals etwas gut sein lassen. Sie war eine Kommunistin, radikaler als Lenin und dessen Bolschewiki, in denen sie Verräter an der Revolution und dem »Edeltum« des Menschen sah. In ihrem Arbeitszimmer in der Universität – das zeigte sie mir nach unserem russischen Abenteuer – hing ein Bild von Fanny Kaplan an der Wand, jener Anarchistin und Sozialrevolutionärin, die 1918 ein Attentat auf Lenin verübt hatte, eben weil sie ihn für einen Verräter an der Revolution und dem Edeltum des Menschen hielt. Das Bild zeigt eine junge, traurige Frau in einem schwarzweiß karierten Jäckchen mit einer Spange im Haar; sie bietet uns ihr Profil dar und scheint mehr zu wissen, als gut

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