Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
schnitt, an den Ärmeln meiner Hemden krümelten sich Reste von Klebstoff, und überall lagen Werkteile herum, die irgendwann einmal gebraucht würden und deshalb nicht angerührt werden durften. Die sonnigen Tage verbrachte ich am Wasser, entweder mit dem knuddeligen Dortchen oder mit dem fadendünnen Lenchen. Wir nahmen eine Decke mit, Kopfkissen, Proviant, einen Sonnenschirm und Sonnencreme. Wenn es regnete, bastelte ich, entweder am Küchentisch in der Marienburgerstraße mit Dortchen oder bei Elsbeth zu Hause mit Lenchen. Die Schiffchen baute ich aus Papier, das wir gemeinsam anmalten. Am Schluss machte ich sie mit mehreren Schichten Bootslack wasserdicht und steif.
Über Hung wurde mir mitgeteilt, man rate mir aus verschiedenen Gründen dringend ab, mich in der Universität blicken zu lassen, darum bat ich den treuen Thorsten Grimm, mir einige Lexikonbände aus der Bibliothek zu bringen. Von nun an bauten wir Schiffe nicht mehr aus der Phantasie, sondern nach Vorlage der Bilder, die wir uns gemeinsam heraussuchten, Bilder von Segelschiffen, von Dampfern mit einem, zwei, drei Kaminen. Den größten Ehrgeiz verlangte uns ein Mississippiraddampfer ab. Kleine Kunstwerke waren das. Vier Stück standen in Lenchens Kinderzimmer auf dem Fensterbrett und auf dem Heizkörper, vier Stück in Dortchens Kinderzimmer auf dem Puppenregal, zwischen ihnen Babbale, der aufpasste, dass sie nicht von Piraten gekapert wurden. Ein Schiff war im Schlafzimmer von Vati und Mutti, eines im Schlafzimmer von Babbale und Mama. Weil sich Dortchen so gern dehnte, wenn sie vom Schlaf aufstand, nannte ich sie in meinem Kopf Dehnchen, auch weil sie sich dann auf ihre Schwester reimte, und zu Lenchen sagte ich in meinem Kopf Hierchen, was gut zu Dortchen passte. So hatte ich die beiden in Wirklichkeit und hatte sie obendrein noch im Kopf.
An den Abenden las ich vor – Dortchen aus einem Märchenbuch, Lenchen aus einem der lustigen Atze-Hefte, die Elsbeth für sie abonniert hatte.
Lästig waren die Studenten, die mir auf der Straße oder unten am See auflauerten, im harmlosesten Fall, um mich um ein Autogramm zu bitten, meistens aber, um mir ihre Empörung darüber mitzuteilen, dass meine Vorlesung verboten worden sei, und mich über geplante Proteste zu informieren oder mich zu irgendwelchen Versammlungen in irgendwelche Kirchen einzuladen. Manche standen einfach nur da, mundoffen, bis sie der Mut verließ und sie kehrtmachten.
Ich wurde ins Ministerium für Staatssicherheit beordert und trank mit dem Genossen Minister einen Kaffee in dessen Arbeitszimmer. In Gegenwart der Sekretärin siezten wir uns. Allein mit uns waren wir die beiden Nachtvögel, Kumpane.
»Was wollen diese Arschgeigen von dir?«, fragte Emil. »Schnorren sie dich an?«
»Nein«, sagte ich, »das tun sie nicht. Oder eigentlich tun sie es doch, ja.«
Er sagte: »Ich lass jetzt einen Scherz ab, Lachen erlaubt, aber dir ist schon klar, dass es Zeiten gab, in denen hätte man auch dir den Kopf abgehackt, mein Junge.«
»Nicht einem Thälmann«, konterte ich und drohte ihm scherzend. »Pass auf, was du sagst!«
»Ah, ich habe den wahren Thälmann persönlich gekannt«, gab er mir zurück. »Seien wir froh und froher, dass ihn sonst niemand in unserem gutgläubigen Republikchen persönlich gekannt hat. Ein Einser war der keiner. Und mit Philosophie und dem Arschwisch, mit dem du die Leute verrückt machst, hat der so etwas von nichts am Hut gehabt. Warum tust du das, András? Warum um Himmelchristi willen! Wen interessieren denn deine sogenannten letzten Fragen? Uhhh, was ist das Leben? Uhhh, was ist der Tod? Uhhh, der Tod ist das Nicht-Sein. Schon, schon, Genosse, nur: Was ist gewonnen mit dieser Einsicht, wenn vor dir eine Leiche liegt.«
»Aber ich habe doch gar nichts gesagt«, verteidigte ich mich. »Ich will doch gar nicht wissen, was das Leben ist, und auch nicht, was der Tod ist. Nicht ein Wort habe ich gesagt.«
»Nichts sagen, mein Lieber, ist eine sehr heikle Methode! Unsere Leute arbeiten lange, bis sie diese Methode beherrschen. Aber nur wenige beherrschen sie wirklich. Dzierzynski hat sie beherrscht, Genrich Jagoda war nicht schlecht darin, Jeschow war auch auf diesem Gebiet eine Flasche und Berija war sowieso ein Schwätzer, der konnte nie das Maul halten, der Eierkopf, der polierte. Diese Fragerei, ich sage dir! Ich durfte ja einmal zuschauen, war eine Ehre für einen wie mich damals, kannst dir vorstellen. Aber dann diese endlose Fragerei! Wie kann man
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