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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Bauch nahmen den Hunger nicht fort. Als die Sterne am Himmel standen, legte ich mich neben einen Baumstamm. Es war ähnlich wie damals, als Moma, Opa, Mama, Papa und ich aus Ungarn geflohen waren, nur dass wir damals Salamiwurst, einen Brotlaib vom Bäcker Szegedi, Tomaten, Paprika, Karotten und Reste von den vorgekochten Töltött káposzta bei uns gehabt hatten. Ich sah wieder eine Sternschnuppe und eine zweite. Im Liegen war’s mit dem Hunger besser. Ich hatte keine Ahnung, warum das so war. Ich stand auf, ging ein paar Schritte, und tatsächlich meldete sich der Hunger wieder; ich legte mich hin, und er beruhigte sich. Das war interessant. So bin ich eingeschlafen.
    Meine Tiere besuchten mich nicht. Das warf ich ihnen vor, als ich aufwachte und die Gedanken noch nicht zueinandergefunden hatten. Es ist aber nicht günstig, mit einem Vorwurf den Tag zu beginnen; das kann man sich leisten, wenn man zu Hause sitzt und zwei oder drei Frühstückssemmeln auf dem Tisch liegen und ein Teller mit Schinken und Käse danebensteht – darum nahm ich den Vorwurf sofort zurück und sagte, ich hätte mich nur versprochen und sie sollten bitte nicht böse auf mich sein. Die Luft war frisch, die Vögel zwitscherten, und auf einmal war ich wieder voll Zuversicht, als sähe ich bereits den Bauernhof mit seinem Gemüsegarten vor mir – den ich gar nicht sehen konnte, denn er lag auf der anderen Seite des Waldes, ich konnte gar nichts von ihm wissen. Ich fühlte einen Drang, den Wald zu betreten, und dachte, das ist nun der Ratschlag meiner Tiere. Im Wald ging es aufwärts und abwärts, und überall lagen Zweige und Tannennadeln, die durch meine Socken stachen. Der Weg am Feld entlang wäre viel angenehmer gewesen, aber ich dachte, ich muss meinen Tieren treu sein. Es war ein schmaler Waldrücken, der auf der anderen Seite an eine Wiese grenzte. Durch die schlängelte sich ein Bach, gesäumt von Weiden. Ich kühlte meine Füße im Wasser. Der Boden war mit runden Steinen bedeckt, die an den schattigen Stellen glitschig waren. Ich sah Fische. Mein Vater hatte mir erzählt, man könne Fische durchaus auch roh essen; aber so groß war mein Hunger doch nicht.
    Bei dem Bauernhof, zu dem mich meine Tiere führten, war ein Hund, der bellte und sprang auf mich zu. Aber ich war schneller beim Gemüsegarten als er. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass mich meine Tiere einem Hund ausliefern würden. Der Garten war eingezäunt, wahrscheinlich gegen Rehe aus dem Wald, und der Zaun war zu hoch für den Hund. Ich riss wahllos Gemüse aus dem Boden, alles, was ich erwischen konnte, Karotten, Kohlrabi, Radieschen, Zwiebeln, Lauch, grüne Tomaten, Blumenkohl. Vielleicht benahm ich mich dabei wie der Bauer oder die Bäuerin und meine Bewegungen waren dem Hund vertraut; jedenfalls hörte er mit dem Bellen auf und sah mir nur zu. Es war ein schwarz-braun-weißer mit aufmerksamen Augen und einem netten Gesicht. Ich redete mit ihm, sagte, er gefalle mir und er solle mich bitte gehen lassen, ich sei mit etlichen Tieren befreundet. Er wedelte mit dem Schwanz und hielt den Kopf schief. Mir kam sogar der Gedanke, ihn mitzunehmen. Ich wäre nicht so allein gewesen. »Du hättest es gut bei mir«, sagte ich. »Ich würde mich um dich kümmern.« Ich zog mein Hemd aus und wickelte die Sachen hinein, band die Ärmel darum herum zu einem Knoten und stieg über den Zaun. Der Hund beobachtete mich, er bellte nicht und folgte mir nicht. »Willst du es dir nicht doch überlegen«, sagte ich. »Wenn du willst, lauf einfach hinter mir her.« Ich ging langsam zum Wald zurück, setzte mich am Bach auf ein sonniges Plätzchen und sortierte meine Beute. Der Hund war bei seinen Leuten geblieben. Die Karotten schmeckten am besten, am zweitbesten die Radieschen und der Kohlrabi, weniger die grünen Tomaten und der Blumenkohl. Vom Lauch und den Zwiebeln nahm ich nur einen Bissen, den Rest warf ich ins Wasser. Meinen Hut hatte ich bei dem Baum vergessen, unter dem ich in der Nacht gelegen hatte; war der also auch weg.
    Eine Stunde später hatte ich Bauchschmerzen, dass ich meinte, ich könnte keinen Schritt mehr tun. Ich krümmte mich zusammen und ging in die Knie. Erst musste ich furzen, dann hatte ich Durchfall. Ich war schon weit vom Wasser entfernt, und das tat mir jetzt leid, denn ich hatte nichts, um meinen Hintern richtig zu putzen, und hätte mich gern gewaschen und auch meine Unterhose. Aber ich traute mich nicht zurück. Ich war nie ein großer Freund der

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