Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
auszustrecken, aber das war nicht nötig. In der Schublade unter einem der Sitze fand ich ein Badetuch, damit deckte ich mich zu. Meine Jacke rollte ich zusammen und schob sie mir unter den Kopf. Ich schlief gleich ein.
Und wie ich erwartet hatte, kamen meine Tiere. Seit zwei Jahren waren sie nicht mehr bei mir gewesen, das war eine lange Zeit, fast ein Viertel meines Lebens. Ich fragte sie, ob sie beleidigt seien, weil ich damals im Wachen beschlossen hatte, nicht mehr an sie zu glauben. Sie waren nicht beleidigt. Kein bisschen. Sie gaben mir den Rat, ich solle sehr früh am Morgen aufwachen und am Strand vor der Villa auf und ab gehen, bis die Kinder herauskommen; ich solle Claudine einen wunderschönen Tag wünschen, die Hände auf dem Rücken verschränken und mich nicht vom Fleck bewegen – ich würde schon sehen.
Ich gehorchte meinen Tieren, und Claudine lud mich zum Frühstück auf die Veranda ein.
Ihr Vater konnte ein wenig Deutsch, und ich erzählte meine Geschichte, und er übersetzte für seine Frau und seine Tochter. Ich lächelte, bis ich das Gefühl hatte, mein Gesicht müsse gleich zerbersten. Ich sagte, meine Schwester, ihr Mann und mein Bruder seien Langschläfer, sie lägen in den Federn, die Faulen; ich aber hätte nicht schlafen können, weil ich mich so sehr auf meine Eltern freue, die fast ein halbes Jahr in Amerika gewesen seien, wo sie meinen Onkel besucht hätten und wohin wir alle miteinander im Herbst ziehen würden; Mama und Papa hätten auch schon ein hübsches Haus gefunden, in einem Brief hätten sie ein Foto geschickt.
»Und wohin zieht ihr?«, fragte Claudines Vater. »In welchen Staat, in welche Stadt?«
Ich kannte aber keinen Staat und keine Stadt in Amerika. Leicht hielt ich seinen Blick aus, denn: Ich war satt – Rührei mit Schinken, Käse und Tomaten, drei Scheiben dunkles Brot mit roter und gelber Marmelade, eines mit Honig, dazu eine Tasse Milchkaffee, eine Tasse Kakao und ein Glas Orangensaft. Ich stand auf, verneigte mich vor Claudine und ging davon, ohne die Frage ihres Vaters beantwortet zu haben.
Noch ehe ich außer Sichtweite war, tanzte ich über den Strand, hüpfte und sprang und johlte, ich konnte nicht anders, ich hatte einen zufriedenen Bauch und einen zufriedenen Kopf, meine Zukunft sah ich vor mir und dass sie in der ganzen Welt spielen würde, in allen Städten und Ländern, und dass ich Glück haben würde, nur Glück, und wüsste ich einmal nicht aus noch ein, würde ich mich einfach irgendwo hinlegen und mich zusammenrollen und schlafen und auf meine Tiere warten, die mir immer und überall aus allem heraushalfen.
Als die Mittagsglocken läuteten, ging ich zum Bahnhof, dessen riesiges halbrundes Fenster mir schon bei unserer Ankunft gefallen hatte, stellte mich bei einem der Schalter an und fragte den Beamten, ob er Deutsch spreche. Er verwies mich an einen Kollegen, und ich erzählte, dass meine Schwester, ihr Mann und mein Bruder mich geschickt hätten, sie wollten in der Stadt Schokolade kaufen, und ich solle mich derweil erkundigen, wie wir am besten nach Wien kommen. Er lächelte und sagte Monsieur zu mir und dass die belgische Schokolade die beste sei und dass wir am günstigsten mit dem Oostende-Wien-Express fahren, wir müssten nicht umsteigen, und ob er mir also vier Fahrkarten ausstellen solle. Ich sagte, nein, meine Schwester verwalte das Geld, das sei auch der Grund, warum sie sich immer mit ihrem Mann und meinem Bruder streite. Er lächelte wieder, als könnte er von ähnlichen Schwestern berichten, und schrieb mir die Abfahrts- und Ankunftszeiten auf ein Stück Papier. Ich bedankte mich artig und musste an mich halten, damit ich ihm nicht weitere Details über meine Schwester, deren Mann und meinen Bruder erzählte.
Der Zug fuhr am Abend los, und am folgenden Nachmittag würde ich in Wien sein. Dass ich kein Geld besaß, bereitete mir nicht die geringste Sorge.
Den Rest des Tages verbrachte ich wieder am Strand, blieb aber auf Abstand zu der Villa mit den rot-weißen Sonnensegeln. Am meisten hätten mich zwar der Hafen und die Schiffe interessiert – eines ragte über die Häuser empor, zwei Schornsteine, massiv wie die Konservendosen eines Riesen, weiß schimmernd in der Sonne, mit blauen Streifen, dazwischen ein goldenes Wappen –, aber ich fürchtete, Major Hajós zu begegnen; ich wusste ja nicht, ob sein Schiff bereits abgelegt hatte. Und wenn es dieses wäre? Am Nachmittag spazierte ich zum Bahnhof zurück, ich hatte keine
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