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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Fahrgast, der das Fenster geöffnet hatte, und jede Wette, die beiden zogen über mich her. Ich hatschte zwischen den Polizisten durch die riesige Halle, über die sich Dächer aus Glas wölbten, unheimlich hohe Dächer, fünf, wenn ich richtig gezählt habe; das war mir nicht aufgefallen, als ich mit Major Hajós hier gewesen war. Um mich abzulenken, zählte ich alles Mögliche, die Schwellen, die Laternen, die Tauben, die über unseren Köpfen flogen, und eben die Glasgewölbe. Als wir am Ende des Geleises angelangt waren, fuhr der Oostende-Wien-Express ab. Die Polizisten fragten mich, ob ich Hunger hätte. Ich sagte, ja. Der eine griff in seine Umhängetasche und nahm eine viereckige Blechbüchse heraus und gab mir sein Wurstbrot. Ich schlang es gierig hinunter, als wäre ich am Verhungern; das tat ich absichtlich, weil sie noch mehr Mitleid mit mir haben sollten.
    »Er wird auch Durst haben«, sagte der andere.
    »Ich hol ihm etwas«, sagte der eine.
    Wir standen am Kopf des Bahnhofs vor einer langen Reihe von Geleisen, ich konnte nicht abschätzen, wie viele es waren, und hatte jetzt auch keine Lust mehr zu zählen. Nicht weit von uns entfernt wartete ein Zug, der war nicht so lang wie der Express und war schäbiger als dieser und hatte eine Diesellok. Ich sah den Fahrdienstleiter mit der Kelle in der Hand zum Bahnsteig gehen. Ehe er die Kelle hob, rannte ich los. Ich hörte die Trillerpfeife, der Zug fuhr an, ich sprang auf den Perron des letzten Waggons und duckte mich hinter das Gestänge.
    Mein Herz raste, und es dauerte lange, bis ich einen klaren Gedanken zustande brachte. Der Kopf tat auf einer Seite furchtbar weh, das Gesicht brannte, meine Lippe fühlte sich wie etwas zum Essen an und die Backe und die Umgebung des Auges waren pelzig und geschwollen. Ich nahm mir fest vor, auch weiter nicht an den Schlag zu denken; ich wollte in der Nacht meine Tiere um ihre Meinung und ihren Rat fragen und sie bitten, es irgendwie in Ordnung zu bringen. Mehr konnte ich ohnehin nicht tun. Ich freute mich auf meine Tiere, und bald freute ich mich auch über die Sonne, die zwischen den Häusern blitzte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine Schuhe im Oostende-Wien-Express vergessen hatte. Ich war in Socken. Und war froh, dass wieder ein Stück weg war.
     
    So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren. Deshalb fuhr ich nur ein paar Stationen weit und wartete auf einen nächsten Zug, zuerst in einer Stadt namens Aschaffenburg, das war schon nach einer halben Stunde. Ich hangelte mich von einer Stadt zur nächsten, und es ist mir nichts ähnlich Böses mehr passiert. Aschaffenburg – Würzburg – Nürnberg – Roth.
    Am Nachmittag kam ich in die kleine Stadt Hilpoltstein. Ich hatte keine Ahnung, ob ich auf dem Weg nach Wien war oder weg von Wien, und der Hunger war auch wieder da. Die Socken hatte ich ausgezogen und in die Hosentasche gesteckt. Barfuß würde ich weniger auffallen als in Strümpfen. Ich fiel trotzdem auf. Es waren nicht viele Leute auf der Straße, aber die runzelten die Stirn. Ich konnte nur mit Mühe auseinanderhalten, was wichtig für mich war und was nicht, weil ich nur ans Essen dachte, und beim Essen gibt es genau genommen nichts zu denken. Die Leute kamen mir alle wie Verwandte von dem Schaffner aus Frankfurt vor. Die linke Gesichtshälfte tat immer noch weh, und die Lippe und das Auge waren immer noch heiß und dick. Ein Schaufenster spiegelte mein Gesicht. Ich sah, warum ich auffiel. Ich wollte fort von den Häusern und den Leuten und marschierte drauflos, bis ich beim letzten Haus angekommen war, und ging weiter an der Landstraße entlang. Irgendwann hielt ein Auto ein paar Meter vor mir. Der Fahrer stieg aus und fragte, ob etwas mit mir sei. Ich lief in das Weizenfeld hinein, was unangenehm war, weil ich auf die Halme trat und die harten Stoppeln meine Füße pieksten.
    Das Feld grenzte an einen Wald, an ihm entlang führte ein Weg, der war weich und kühl, mit altem Laub bedeckt und Streu. An manchen Stellen ragten Felswände aus dem Wald empor, die Landschaft wurde hügelig, ich ging schnell und wusste nicht, warum ich schnell ging. Vor Sonnenuntergang würde ich ohnehin nicht in Wien sein – vielleicht würde ich nie wieder in Wien sein. Ich kam zu einem Bach und trank, bis nichts mehr in mich hineinpasste, und watete durchs Wasser. Ein kühler Wind kam auf. Ich freute mich wieder meines Lebens; aber leider nicht lange, denn der Abendschatten und der weiche kühle Weg und das Wasser im

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