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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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goldener Lichtstrahl zur Erde, an dessen Spitze eine Frau schwebte, die einen Säugling im Arm trug und mit schweren goldenen unbequemen Tüchern behangen war; rechts von ihm war ein Loch, dort brodelte es und glühte. Über der Glut hing an eisernen Haken ein schreiender Mann, ebenfalls nackt, wobei nicht klar war, weswegen er mehr schrie, wegen der Hitze oder den Haken, die das Fleisch an seinem Rücken und Hintern durchbohrten, oder wegen der Schlange, die aus dem Feuer emporschnellte und in seinen Bauch biss. Der Priester kam aus der Sakristei und riss vor Schreck die Hände an den Mund. Ich sagte, ich hätte Hunger, ob er etwas zu essen für mich habe. Er gab mir die gesamte Mahlzeit, die ihm seine Köchin in verschiedenen kleinen Töpfen mitgegeben hatte, ein Stück Rinderbraten mit Püree, einen Gurkensalat und zum Nachtisch Apfelmus mit Rosinen. Ich fragte, warum er ein so grausliches Bild in seiner Kirche aufhänge. Er sagte, bei einem wie mir müsse man ganz von vorne anfangen, und dazu habe er die Zeit nicht. Er erzählte aber doch. Er zog ein Brot aus seiner Soutane, das hatte er abzweigen wollen; zupfte kleine Brocken ab, einen für sich, einen für mich. Der, auf den mit Pfeilen geschossen worden war, sei der heilige Sebastian; die Frau mit dem Kind die Gottesmutter; der über dem Höllenfeuer brät, einer von denen, die auf den Heiligen geschossen hätten. Der Priester stellte mir keine Fragen – wer ich sei, wer meine Eltern seien und so weiter; wahrscheinlich, weil er keine Probleme haben wollte. Ich war ihm dankbar. Die Mahlzeit hielt fast zwei Tage vor, dafür träumte ich in zwei Nächten von dem Bild über dem Altar. Schließlich kam wieder der Hunger, und alles andere war unwichtig.
    In einem Dorf stahl ich ein Brot aus einem Laden; aber ich hatte nichts davon, denn die Bäckersfrau lief hinter mir her, und ich verlor den Wecken. Er hatte gerochen, meine Güte! In einem anderen Dorf ging ich in den Laden und sagte, ich hätte Hunger. Die Verkäuferin sah mich entgeistert an und schenkte mir einen Stollen Schwarzbrot und ein Stück Käse und schnitt mir satte zwanzig Zentimeter von einer Wurst ab. Bis zum Abend war ein Fest, ich aß alles auf einmal weg und wartete, dass sich meine Därme regten. In einem anderen Dorf wurde ich von Kindern mit Steinen beworfen; ein großer spitzer traf mich an der Braue; das Blut rann mir über das Gesicht und tropfte auf Hemd und Hose. Am nächsten Tag stürzte ich über einen Felsen, zerriss mir das Hosenbein bis übers Knie und holte mir eine tiefe Schürfwunde an der Wade, die sich entzündete und eiterte. Der Unterschenkel schwoll an, und die Fliegen waren hinter mir her und die Mücken sowieso.
     
    Eines Nachmittags humpelte ich durch den Wald und kam zu einer Brücke, die aus steinernen Bögen gebaut war; der mittlere Bogen war eingestürzt, und ich konnte auf dem Weg nicht weitergehen. Ich war erschöpft und stumpfsinnig vom Hunger und vom Schmerz in meinem Bein und dachte, hier würde ich also sterben. Aber verdursten wollte ich nicht. Ein wenig unterhalb des Weges führte ein Pfad zum Bach hinunter. Und da stand eine Hütte, rundherum verwachsen, ich wäre fast daran vorbeigegangen, ohne sie zu sehen. Die Tür war nur angelehnt. Schaufeln und Pickel lagen in einer Ecke, in der anderen war Sand aufgeschüttet; der war gerade angenehm, um den Kopf draufzulegen. Ich beschloss, über Nacht hier zu bleiben. Ich hatte schon lange nicht mehr unter einem Dach geschlafen, und durch den Himmel zuckten Blitze, und die ersten Tropfen fielen, und die waren dick und schwer. Wenn ich nicht mehr aufwachte, würde es mir auch gleich sein. Ich rutschte über den Abhang zum Bach hinunter, überlegte, ob ich doch versuchen sollte, mit der Hand einen Fisch zu fangen und ihn roh zu essen. Ich kniete mich nieder, steckte den Kopf ins Wasser und trank. Wäre ich eine Minute nur geduldig gewesen, hätte es genügt, das Gesicht gegen den Himmel zu recken und den Mund aufzusperren. Ein Wolkenbruch ging nieder, wie die Welt noch keinen erlebt hatte; ich war nass, als hätte ich mich im Bach gewälzt.
    Als ich zur Hütte zurückkam, stand ein Neger unter dem Vordach.
     

7
     
    Das war Staff Sergeant Hiram Winship. Er wollte aber nicht mehr Soldat sein. Darum war er davongelaufen. Bei dieser Gelegenheit hatte er einen Mann niedergeschossen. Ob der Mann gestorben war oder nicht, konnte er nicht sagen; es war ihm auch egal. Das erzählte er mir aber erst in der Nacht – wobei

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