Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
rührte nicht von meinem eitrigen Bein her, das war ein Glück; ich hatte mich in den Nächten erkältet. Hemd und Hose hatte Staff Sergeant Winship von einer Wäscheleine gestohlen. Er zog immer wieder los und kam voll bepackt zurück. Unter anderem waren zwei weiße Bettüberzüge und zwei Kissenbezüge dabei, ebenfalls von einer Wäscheleine. Der Militärschlafsack war zu warm, aber ohne sich zuzudecken, war es gegen Morgen zu kalt. Von nun an schlüpften wir jeder in einen Überzug; die Kissenbezüge zogen wir uns wie Kapuzen über den Kopf, für Mund und Augen schnitten wir Schlitze hinein, so konnten uns die Mücken nichts mehr anhaben. Wir lebten fürstlich, schlugen uns den Bauch voll; ich bereitete Bratkartoffeln mit Butter, Zwiebeln, Speck und Spiegeleiern zu, leider hatten wir kein Paprikagewürz und keinen Schnittlauch. Staff Sergeant Winship zeigte mir, wie man mit bloßen Händen Forellen fängt, wie man sie ausnimmt und auf Ruten steckt und über dem Feuer grillt. Dazu gab es geröstetes Brot, das wir pfefferten und an der Speckschwarte rieben. Immer wieder musste ich mir an den Kopf greifen, weil es so interessant war, ohne Haare zu sein. Ich nahm mir vor, sie mir nie wieder wachsen zu lassen. Dann wäre ich auch das Problem los, dass mir die Leute dauernd darüberstrichen, dachte ich. Staff Sergeant Winship hatte einige Sachen mitgebracht, die er, schätzte ich, nicht auf seine übliche Weise erworben haben konnte, das Aspirin zum Beispiel und Schreibzeug und einen Stapel Schulhefte. Ich nahm an, diese Sachen hatte er gekauft, das Geld dafür aber auf die übliche Weise beschafft. Wir saßen abwechselnd im Schatten und in der Sonne und brachten uns gegenseitig neue Worte bei und wiederholten die alten. Staff Sergeant Winship hatte ein Ungarisch-Heft und ein Deutsch-Heft, ich ein Englisch-Heft. Im Nu war ein Heft vollgeschrieben, und ein neues musste aufgeschlagen werden.
Ich notierte Worte und Wendungen und erfuhr auf diesem Weg einiges über Staff Sergeant Winships Leben. Dass er aus Vicksburg im amerikanischen Staat Mississippi stammte (ich riss eine Ecke aus meinem Heft, notierte mir Stadt und Staat und steckte den Zettel in die Hosentasche; falls ich wieder in eine Situation wie am Strand von Oostende mit Claudines Vater käme). Dass Vicksburg in irgendeinem Krieg eine wichtige Rolle gespielt habe. Dass er drei Brüder und vier Schwestern habe – Frank, Skip, Holly und Sarah, Leah, Savata, Marge; dass er der Älteste sei. Dass die anderen nie aus Mississippi herausgekommen seien. Dass er seine Familie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen habe. Dass seine Mutter Bücher lese, aber eine schlechte Brille habe. Leah sei die Schönste, sie schreibe ihm manchmal, sie heirate bald, ihren Mann kenne er nicht. Dass sein Vater ein Stück größer sei als er und viel stärker, ein stattlicher, »good« aussehender Mann – »a handsome fellow«. Dass er mit seinem Vater manchmal geboxt habe. Dass er im Krieg auf der anderen Seite der Welt in einem Kampfflugzeug geflogen und mit dem Fallschirm abgesprungen sei und dass er mindestens fünfzehn Männer getötet habe und drei Frauen, aber wahrscheinlich viel mehr Menschen. Den fünfzehn Männern und den drei Frauen habe er in die Augen gesehen, den anderen nicht. Bei den drei Frauen habe er gedacht, es seien Männer. Zwei Männern habe er in den Kopf geschossen, den anderen in die Brust, den Bauch, die Beine, überallhin. Kinder habe er nicht erschossen. Die Männer, auf die er geschossen habe, seien alle viel kleiner als er gewesen. Er habe sich manchmal mit frischem weißem Brot den Schweiß abgewischt, vom Gesicht, vom Bauch, von den Armen, sogar vom Arsch, weil das amerikanische Brot nach nichts schmecke und Schweiß aus Butter, Wasser und Salz bestehe. Ein Freund von ihm habe sich gleich nach dem Aufwachen je ein Steak rechts und links unter die Achseln gebunden und dann gegen den Feind gekämpft, gegen Mittag habe er das Fleisch gewendet, am Nachmittag wieder gegen den Feind gekämpft und am Abend habe er das Fleisch verspeist, und er habe gesagt, nicht einmal in den feinen Restaurants von Charleston würde einem ein besseres Tenderloin-Steak serviert. Ich fragte Staff Sergeant Winship, was sein Freund dazu gegessen habe, Kartoffeln oder Nudeln oder Reis, einen Salat vielleicht oder Gemüse, ich könne mir auch ein Spiegelei vorstellen oder Backpflaumen. Er beruhigte mich und überlegte lange, während er mit dem Finger auf mich zeigte, und sagte
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