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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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different!« Natürlich kannte ich das Wort Teufel , aber ich konnte damit so wenig anfangen wie mit dem Wort Gott, mir kam vor, jeder verstand darunter etwas anderes, und es dauerte lang, bis ich aus seiner Pantomime erriet, was Staff Sergeant Winship mit devil meinte. Er legte die Fäuste an die Schläfen, stellte die Zeigefinger wie Hörner auf, streckte seine rosige Zunge heraus und verrollte die Augen; er tat, als ob er mich an der Gurgel packen und in unser Feuer reißen wollte, über dem die Forellen an Spießen brieten, und stieß dabei so schreckliche Laute aus, dass ich fürchtete, er habe sich tatsächlich in einen anderen verwandelt und finde nicht mehr zurück.
    Staff Sergeant Winship war Soldat und wollte nicht mehr Soldat sein und wollte nicht mehr in den Krieg ziehen. »War!«, rief er. »War in Germany! War in Korea! War in Suez! War in Libanon!«
    Er tanzte mir vor, was War! bedeutete. Er war das Flugzeug und die Bombe, war das Gewehr und die Patrone, die Granate und die Explosion, er hatte Angst und machte Angst, hatte Schmerzen und fügte Schmerzen zu, mordete und wurde gemordet. Er konnte das wirklich sehr gut, und ich hätte mir gewünscht, ich würde seine Sprache besser verstehen oder er meine; ich hätte bestimmt viel über die Welt erfahren, über den Krieg und den Frieden, und hätte zu Hause einige seiner Geschichten als die meinen ausgeben können … – Da fiel mir ein, dass ich schon lange nicht mehr an Mama und Papa und Moma gedacht hatte.
    Und als würde er mir in den Kopf hineinsehen, fragte Staff Sergeant Winship, ob mich meine Mutter liebe. Er ballte eine Hand zur Faust, hielt sie mir vors Gesicht und sagte: »Mother. This one is your mother. O.k.?« Nun ballte er die andere Hand. »This one is Andrew. Right?« Mit der Mutter-Hand streichelte er über die Andrew-Faust und murmelte Schmeicheleien. Er sah mich mit großen Augen an – große Augen bedeuteten zwischen uns: Ich will etwas von dir wissen. Es konnte nichts anderes heißen als: Liebt dich deine Mutter? Er wusste nicht einmal, ob meine Mutter lebte. Ein Bub, der im Wald herumstreicht, zerschunden, halb verhungert, Schorf am Kopf, Eiter am Bein – wäre es nicht naheliegend gewesen, ihn für ein Waisenkind zu halten? Oder dass ihn seine Eltern fortgeschickt hatten. Oder dass seine Eltern eingesperrt worden waren, ohne dass sie ihrem Kind vorher hätten Bescheid sagen können. Oder dass sie ausgewandert waren und ihn zurückgelassen hatten. In der Schule war von einem vierzehnjährigen Ungarn aus Veszprém erzählt worden, der, weil er ein ungeduldiger Mensch war, vorausgelaufen sei und es in der letzten Sekunde über die Grenze geschafft habe, während sein Vater, seine Mutter und seine Geschwister von der Grenzwache verhaftet worden seien; er habe ihnen über den Graben hinweg zugewinkt und seither nichts mehr von ihnen gehört. Ich wollte Staff Sergeant Winships Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten, das hätte ich ehrlich nicht können, man denke nur: Ich hätte ihm von Frau Buchtas Friseurladen in Mattersburg erzählen müssen und von deren Freund, der sehr zuvorkommend gewesen war und Mama in seinem 56er DKW Cabriolet, beige mit Stoffdach, hatte fahren lassen; ich hätte ihm von den Spaziergängen durch das Schilf am Neusiedlersee erzählen müssen, als mir Mama den Schmerz erklärte und auch erklärte, wie man ihn besiegt; und wenn schon, hätte ich ihm auch von ihren Gemeinheiten erzählen müssen und dass sie bei jedem Menschen den wunden Punkt fand im Handumdrehen. Ich sagte aber doch: »Ja.«
    Ich betrachtete gern Staff Sergeant Winships Gesicht. Wenn er sprach, war alles darin in Bewegung, glitzerte und glänzte; wenn er schwieg, erstarrte es zu schwarzem Stein. Ich hatte nie einen Menschen kennen gelernt, dessen Gesicht so lange ohne jede Regung auskam. Am Anfang hatte ich manchmal befürchtet, er sei böse auf mich und wolle stur kein Wort mit mir reden, und ich wusste nicht warum. Später glaubte ich, er sei geistesabwesend, denke an etwas weit Entferntes, seinen Kontinent, seinen Bundesstaat, seine Stadt, die Straßen darin, Randolph Street, wo er aufgewachsen war. Schließlich kam ich zur Auffassung, er ist, wie er ist. Das bedeutete nichts, hat mich aber beruhigt. Ich nahm mir vor, diesen Trick auch sonst anzuwenden. Alles ist, wie es ist. Daran gibt es nichts auszusetzen. Ich ahmte ihn nach. Wir saßen an unserem Feuer, und unsere Gesichter waren zwei Steine, ein schwarzer und ein weißer.
    Am

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