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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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bestimmt nicht gern gesehen, dass Moma ausgerechnet über ihren Widersacher ein Buch geschrieben und diesen darin auch noch gelobt hat, so viel ich wusste. Vielleicht haben sie mich ja nur ausgesucht, um an Moma heranzukommen; das schien mir sogar sehr wahrscheinlich.
    Ich saß auf einem Fahrrad, das hatte eine Klingel und eine Lenkstange und eine Kette und zwei Treter, aber es hätte auch ein goldenes Boot sein können. Am einfachsten wäre es gewesen, Staff Sergeant Winship zu fragen. Das tat ich nicht. Die Götter sind in die Tiere geschlüpft, von nichts anderem erzählten diese Geschichten; vielleicht – dachte ich – vielleicht bin ich ein Tier, das in einen Menschen geschlüpft ist, wahrscheinlich sogar. Ja, das hielt ich für sehr wahrscheinlich, alles sprach dafür. Der Gedanke beruhigte mich.
    Der Weg führte inzwischen wieder durch den Wald; er war breiter und mit feinem Schotter bedeckt, und obwohl nur wenig Licht durch die Bäume drang, war es hier angenehmer zu fahren als auf dem Feldweg, der nur aus zwei Fahrrinnen bestanden hatte. Staff Sergeant Winship drehte sich zu mir um und fragte, wie ich mich fühle und ob wir uns ausruhen sollten, und er lachte laut in die Nacht hinein. Er winkte mich neben sich, das war mir recht. Wir waren an Dingen vorbeigekommen, die mir Angst eingejagt hatten. Oder waren es gar keine Dinge, sondern irgendwelches Mischleben gewesen, halb Mensch, halb Tier, halb Baum, halb Fels, auf deren nachtdunkler Haut sich im Vorbeifahren Augen und Mäuler bewegt hatten und Finger, als würden sie in die Luft hinein Klavier spielen oder Schnüre verknoten wollen? An zweien kamen wir vorbei, die taten, als wären sie haushohe Felsbrocken, einer forderte den anderen zum Tanz auf, und mir war, als hätte ich diesen Moment schon einmal erlebt, und mir fiel auch ein, wo das gewesen war, nämlich in Burgenland nahe der ungarischen Grenze, als sich Opa vom Boden erhoben hatte, um Moma zum Tanz zu bitten. Er hatte sich an dem dünnen Stamm eines Bäumchens festgehalten, und das Bäumchen hatte sich von ihm weggebogen, und er hatte es gebeten, es solle nicht brechen, bevor er auf sicheren Beinen stehe. Wie sich Re, von den Schlangenpeitschenhieben des Apophis verwundet, auf seinen Stock stützte, hatte er mich da nicht an Opa erinnert, als er sich an dem Bäumchen festhielt? Und Abi in seinem Pantherfell, sah er nicht aus wie Major Hajós mit seinen gefärbten Haaren? Und hatte Major Hajós nicht immer behauptet, er sei Opa in den schlimmsten Tagen beigestanden, ohne ihn wäre er nicht mehr am Leben? Das Gleiche, so hatte mir Herr Dr. Martin erzählt, sage an jedem Morgen Abi zu Re, wenn sie aus der Unterwelt der Nacht auftauchen. – Ein Grauen breitete sich in mir aus, und ich zweifelte an allem; alles war gleich weit weg von mir und unerreichbar für mich, aber ich war erreichbar für alles.
    An Staff Sergeant Winship zweifelte ich nicht. Ich blickte zu ihm hinüber, und er blickte zu mir herüber. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass ich ohne ihn gestorben wäre. Ich wünschte, er würde mich nie verlassen. Und wenn er mich verlassen müsste, dann sollte er mir doch wieder begegnen, irgendwann in meinem Leben.
     
    Ich hatte bei offenen Augen dahingedämmert und war nicht vom Fahrrad gefallen. Die Sonne schimmerte durch die Bäume, es roch nach Heu, die Amseln sangen, und die Spatzen zwitscherten dazwischen, auch eine Taube hörten wir.
    Wir bereiteten gemeinsam das Frühstück zu, gestikulierten aber kaum, wir waren zu müde. Mir war heiß von innen. Einen Riesendurst hatte ich. Nach dem Essen zog mir Staff Sergeant Winship den Dorn aus dem Fuß und legte einen neuen Verband an meine Wunde und rieb die aufgekratzten Mückenstiche mit Schnaps ein. Wir schoben die Räder in den Wald, deckten sie mit Zweigen zu und verkrochen uns ins Gebüsch. Ich durfte im Schlafsack liegen.
    Als würden sie es nicht mögen, dass über sie nachgedacht wird, kamen meine Tiere lange, sehr lange nicht mehr zu mir. Erst nachdem ich – inzwischen ein älterer Herr – im Wiener Stadtpark bei Schneegestöber einem Staatssekretär unserer Republik begegnet war, an dessen Brust gerade recht unfreundlich gepocht wurde, besuchten sie mich wieder – nach über fünfzig Jahren: der Jüngling mit dem Vogelkopf; der Mann mit dem Hundekopf; der alte Affe, der sich in seinem Fell drehte und wand; die Frau, die aus vielen Tieren zusammengesetzt war, die abwechselnd aus ihrem Körper aufstiegen wie Blasen; und die

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