Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
schließlich: »Corn chips.«
Ich suchte weiße und dunkle Kieselsteine in verschiedenen Größen und verschiedenen Formen; ich zeichnete ein Gitter in den Lehmboden, belegte die Quadrate abwechselnd mit Blättern, die einen waren die schwarzen, die anderen die weißen Felder. Ich brachte Staff Sergeant Winship das Schachspiel bei. Das war etwas Gutes, was ich ihm getan hatte.
Staff Sergeant Winship legte sich mittags gern in den Schatten und schlief eine Stunde. Unser Bach floss zwischen Felsen hindurch, wo er sich in finster grünen Becken staute, dann breitete er sich aus und war klar und flach. Einmal machte ich mich auf, watete in seinem Bett, die Hose zog ich über die Oberschenkel, das Hemd band ich über dem Bauch zusammen, folgte den Blättern, die sich in kleinen Strudeln drehten. Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen bis auf die Kieselsteine im Wasser; die leuchteten golden wie das Geld im Speicher von Dagobert Duck. Eine Schulklasse flinker Kaulquappen wich vor meinem Fuß zurück. Ein Frosch saß starr auf dem Teppich eines breiten Blattes, ein Auge war auf mich gerichtet, das andere auf den Stamm einer Tanne, über den, hinauf und hinab, Tausende Waldameisen eilten. Es roch nach Harz und Moder und sonnenbeschienenem Holz. Ein Eichhörnchen blickte von einem Ast auf mich herab. Von weitem hörte ich einen Specht trommeln. Ich verließ den Wald und kam zu einer Wiese, die war über und über mit Blumen bedeckt. Schmetterlinge flatterten um mich herum. Libellen flogen mir voran; wenn ich stehen blieb, verharrten sie in der Luft, bis ich mich wieder bewegte. Ich setzte mich ins Gras. Feine weiße Blüten rieselten auf meine Beine, die sah ich mir genau an. Sie bestanden aus fünf Teilen, zwei oben wie die Köpfe eines doppelköpfigen Engelchens, zwei auf den Seiten wie dessen Flügelchen und unten, der breiteste Teil, wie ein Kleidchen in Form eines Schwalbenschwanzes. Alles zusammen war nicht größer als ein Viertel meines kleinen Fingernagels. Um den Stamm der prächtigsten Blume schlang sich eine Winde. Ihre Blüte war das Schönste, was ich in meinem Leben gesehen hatte – eine makellos weiße Glocke, die in einem hellgrünen, an den Rändern braun gerahmten Schaft steckte. In ihrem Kelch schimmerte ein zartes Zitronengelb; daraus erhob sich ein weißer Stempel. Eine Wespe stand flügelschlagend in der Luft im Inneren der Blume, sie berührte die Wände an keiner Stelle.
Ich hatte mir früher schon manchmal Gedanken gemacht, ob Pflanzen über ihr Leben nachsinnen, was sie zum Beispiel vom Verwelken halten, oder über die Frage, wann eine Blume tot ist – wenn sie abgeschnitten wird oder wenn sie verwelkt –, oder ob man die Geschichte einer Wolke nacherzählen könnte, wie sie entsteht, wie sie sich wandelt, wie sie vergeht, und ob das überhaupt einen Sinn hätte – ich gebe zu, das war nicht meine eigene Idee, mein Vater hat mich darauf gebracht. Ich legte mich in die Wiese, verschränkte die Hände im Nacken und schloss die Augen und sah mein Blut, scharlachrot.
Als ich in unser Lager zurückkehrte, hatte Staff Sergeant Winship Malzkaffee mit Milch aufgekocht; dazu gab es Wurstbrot, Karotten und Tomaten. Ich durfte an seiner Zigarette ziehen. Am Abend saßen wir an unserem Feuer, nackt, in den Bettüberzug gehüllt, den weißen Kissenbezug wie eine spitze Kapuze über dem Kopf; wir sahen aus wie zwei Gespenster.
Staff Sergeant Winship brachte mir ein Lied aus seiner Heimat bei. Er schrieb den Text in mein Heft und erklärte mir die Worte und wie man sie ausspricht; ich schrieb die deutsche und ungarische Übersetzung in seine Hefte, und dann sangen wir gemeinsam:
Irene good night Irene good night
Good night Irene Good night Irene
I’ll see you in my dreams
Some times I live in the country
Some times I live in town
Some times I take a great notion
To jump in the river and drown
Irene good night Irene good night
Good night Irene Good night Irene
I’ll see you in my dreams
9
Der Lügner darf keine Autorität, nicht einmal die einer Idee, über sich dulden . – Unter diesem Aspekt betrachtet, war ich stärker und einsamer als Staff Sergeant Winship. Er glaubte an etwas; ich an nichts.
Er glaubte an das Böse. Der Name des Bösen lautete: Amerika. Ich sagte, er sei Amerika. »You are America.« Er antwortete: »No!« Ich: »You are US-Military Police, Sir!« Er: »No, I’m not the devil. Yes, I’m playing with the devil. But this is something completely
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