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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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und mich zu verarzten, sobald die Sonne aufgehe. Einen Kamm besaß er nicht, er selbst hatte kurz geschorenes Haar; er versuchte, mit den Fingern meinen Schopf zu ordnen; es gelang ihm nicht, bei mir oben war alles verfilzt und verzaust und voll Dreck, Erde, Sand, Tannennadeln. Ich zog das ärmellose Flanellhemd über, stopfte es mir in die Hose.
    Gegen zwei Uhr in der Nacht fuhren wir los. Ich hatte mich eine Stunde in der Hütte hingelegt, den Kopf auf dem Sandhaufen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Hinterher war ich munter, als hätte ich einen Tag und eine Nacht durchgeratzt. Die Lampe an meinem Rad war kaputt, darum fuhr ich knapp hinter Staff Sergeant Winship her. Das war bequem für mich; ich musste mich um nichts kümmern und durfte meinen Gedanken nachhängen, und abwärts ging’s auch. Als wir aufs Feld kamen, sahen wir den großen Sternenhimmel so voll wie nie.
     
    Es war höchste Zeit, dass ich einmal gründlich über meine Tiere nachdachte. Und als wär’s mir zusammen mit dieser Ermahnung von den Sternen herunter direkt in den Kopf gefallen, glaubte ich auf einmal zu wissen, wer meine Tiere waren. Nämlich: genau jene Wesen, die mir zum ersten Mal in den Verhören, die ich mit Moma angestellt hatte, begegnet waren und von denen Herr Dr. Martin so ausführlich und langatmig erzählt hatte. Sie sahen ihnen nicht nur ähnlich – worüber ich mich schon früher gewundert hatte –, sie waren es persönlich! Über diesen Gedanken erschrak ich so sehr, dass es mir die Arme verriss und ich beinahe vom Fahrrad gefallen wäre. Oft war ich allein mit Herrn Dr. Martin in der Küche gesessen. Er zeigte mir Bücher, in denen die ägyptischen Götter abgebildet waren – zum Beispiel Re, ein braungebrannter Mann in einem grünen Ruderleibchen und einem weißen Rock, mit einem Raubvogelkopf, auf dem die Sonne balancierte, die von einer Schlange umwickelt war. Und nun, da ich unter dem größten Sternenhimmel, den ich je gesehen hatte, hinter Staff Sergeant Winship herfuhr, war ich mir sicher, genau dieses Menschtier in meinen ersten Träumen gesehen zu haben. Re sei für die Sonne verantwortlich, hatte Herr Dr. Martin erzählt, oder sei selber die Sonne, das wusste ich nicht mehr so genau. Er fährt jeden Tag in einem goldenen Boot über den Himmel, und in der Nacht gleitet er in eine Höhle hinab, wo lauter Ungeheuer auf ihn lauern, gegen die er gemeinsam mit seinen Freunden kämpfen muss. Das gefährlichste Ungeheuer heißt Apophis und ist eine Mischung aus Schlange und Schildkröte. Bisher habe immer Re den Kampf gewonnen. Aber das sei nicht ausgemacht. Wenn Re nur ein einziges Mal verliere, komme der Tag nie mehr zurück, und die Welt bleibe finster und kalt. Zum Glück springt jedes Mal kurz vor Tagesanbruch der älteste Zauberer auf das Boot und hilft Re. Dieser Zauberer ist ein Mann mit dem Kopf eines Windhundes, seine Ohren stehen senkrecht in die Luft hinauf und sind an den Enden eckig geschnitten, und er hat einen Schwanz, dessen Spitze gespalten ist. Gut gefielen mir auch die anderen Freunde von Re; zum Beispiel Abi, der in ein Pantherfell eingenäht ist und immer wieder verbrannt wird und trotzdem nicht stirbt; oder Ammit, die Totenfresserin, die dafür sorgt, dass unter der Erde nicht mehr Menschen liegen, als oben stehen, sie hat einen Krokodilskopf, sieht vorne wie eine Löwin aus und hinten wie eine Nilpferdfrau; oder Babi, der einem Affen ähnelt und in den Därmen der Menschen lebt und ihnen dort Unannehmlichkeiten bereitet (vielleicht rührte mein Bauchweh ja gar nicht von dem Kohlrabi, den Radieschen, den Zwiebeln und dem Blumenkohl her). Und dann eines Tages sind die Götter allesamt vertrieben worden, niemand durfte mehr zu ihnen beten, ihre Bilder wurden zerstört, und wer weiter etwas von ihnen hielt, der wurde abgeholt, verhört, gefoltert, hingerichtet, erschossen, liquidiert und aufgehängt. Und wer hatte das befohlen? Genau jener Pharao Echnaton, über den Moma ihr berühmtes Buch geschrieben hat! Deswegen erschrak ich ja so sehr. Nachdem Echnaton gestorben war, seien die Götter nämlich zurückgekehrt, hatte Herr Dr. Martin mit hämischer Freude berichtet, und nun wurden alle abgeholt, verhört, gefoltert, hingerichtet, erschossen, liquidiert und aufgehängt, die weiter etwas von Echnaton hielten. Als ich hinter Staff Sergeant Winship durch die Nacht fuhr, war mir sehr bange, und ich musste denken, die Wesen und Unwesen mit den Tierköpfen und den Tierbeinen und Tierhintern haben es

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