Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
Vaters in Kredit geschrieben wurden. Seine Eltern stammten aus Schweden, er war in Dänemark geboren, wo die Lundins den größten Teil ihrer immobilen Besitzungen hatten. Im Jahresbericht des Gymnasiums wurde er – »der reichste Schüler …« – als »dänischer Staatsbürger mit Muttersprache Schwedisch« geführt. Herr Lundin war mit seiner Familie nach Liechtenstein gezogen, um Steuern zu sparen. Ihm gehörten eine Strumpffabrik in Aarhus, die erste Großbäckerei Norddänemarks, ebenfalls in Aarhus, zwei Aquavitfabriken, eine in Aalborg, eine in Kopenhagen, die größte Fleischfabrik von Stockholm, eine Fleischfabrik in Göteborg, weite Zuckerrübenäcker in Westfalen plus mehrere Raffinerien; außerdem war er an verschiedenen Lebensmittelbetrieben in der Schweiz, in Frankreich, Holland, Deutschland, Schweden und Norwegen beteiligt. Sein Sohn wusste über alles sehr genau Bescheid. Die Fabriken seien vom Großvater geerbt, der Vater habe sich hingegen auf Geld spezialisiert, auf freies Geld, die Fabriken liefen eher nebenher. Leif erklärte mir, was eine Aktie ist und was an der Börse geschieht und wozu die Börse eigentlich gut ist und warum es ratsam ist, Aktien zu kaufen, wenn man freies Geld hat, und erklärte mir auch, was er und sein Vater unter freiem Geld verstehen, nämlich solches, das man im Moment nicht braucht und deshalb in der Zukunft ablegt – nichts anderes sei eine Aktie: schriftlich garantierte Zukunft, was nichts anderes heiße als eine Zukunft, die garantiert größer, schöner, mächtiger sei als die Gegenwart. Zudem werfe eine Aktie Dividenden ab, die würden aufs Neue in Aktien veranlagt. Auch was Dividende ist, brachte er mir bei, und auch, was in diesem Zusammenhang die Worte »abwerfen« und »veranlagen« bedeuten.
    Nach meiner Beichte ging ich nicht mehr nach Tschatralagant; woraufhin auch Leif nicht mehr hingehen wollte. Er wünschte, dass ich sein Freund werde. Ich sei der einzige an der Schule, der sich wie er für Geld interessiere, fasste er die Argumente für diese Freundschaft zusammen. Die anderen hätten keine Ahnung vom Geld, sie meinten, es sei nur zum Großtun und Einkaufen in der Welt. Er schlug vor, ich solle ihm helfen, seine Modellflugzeuge zusammenzubauen, dafür werde er mich bezahlen. Ich erkannte in seinem Gesicht einen Zug, der auf etwas hindeutete, das sich erst in einem frühen Entwicklungsstadium befand, aber eines Tages den Charakter dieses Burschen ausfüllen würde. Eigenschaften dieses Charakters würden unter anderem Rachsucht und Dankbarkeit sein. Ersterer wollte ich entgehen, letztere mir sichern.
    Von nun an verbrachte ich zwei, drei, sogar vier Nachmittage in der Woche in Liechtenstein. Die Villa der Familie Lundin befand sich außerhalb von Vaduz in einem Weinberg, sie war in drei Stufen in den Hang gebaut, wenig reizvoll, die Trakte waren einstöckig oder ebenerdig und nahmen viel Fläche in Anspruch, das Ganze sah aus wie eine Ansiedlung mehrerer Bungalows. Unterhalb des Hauptgebäudes, mit der Straße durch einen gepflasterten Vorplatz verbunden, der durch ein fernsteuerbares Eisentor halbiert war, befanden sich zwei Garagen, eine breite für vier Autos und eine kleine, die als Werkstatt diente; in letzterer hielten wir uns auf. Der Schlüssel lag unter einem Stein. Ich dürfe jederzeit kommen, egal, ob jemand zu Hause sei oder nicht; wenn nicht, solle ich einfach über das Tor klettern, das Hauspersonal und auch Herr Wohlwend seien informiert. Leif besaß neun Modellflugzeuge – darunter einen Doppeldecker, einen Dreifachdecker, einen Segelflieger mit großer Spannweite und einen originalgetreuen Boeing B-17 aus dem Zweiten Weltkrieg, der am Bauch mit bleistiftstumpengroßen Bomben bestückt war, die mit Hilfe eines Funkgeräts abgeworfen werden konnten und in der Luft in einer roten Flamme verpufften. Sein Vater bastelte manchmal mit oder sah uns dabei zu. Er brachte mir bei, wie man mit einem Lötkolben umgeht und wie man mit der Zunge eine Batterie testet. Ich wiederum bewies ihm, dass der Graphitabrieb eines Bleistifts die Räder besser schmierte als Öl. Er war ein löwenköpfiger Mann, der die ersten Schritte nach Verlassen seines Wagens mit breiten Beinen machte und mir gern den aufgestellten Daumen zeigte. Er tat einiges, um seinem Sohn in puncto Beliebtheit behilflich zu sein, bezahlte Klassenfeiern, einmal sogar einen Skitag in Lech am Arlberg. Angeblich soll er auch die Neuausstattung der Turnhalle finanziert haben. Sein Sohn

Weitere Kostenlose Bücher