Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
war nicht beliebt und wurde es nicht, und ich war sein einziger Freund.
    Leifs Mutter trug uns Limonade und belegten Pumpernickel in die Garage. Sie war deutlich jünger als ihr Mann, eine große, breitschultrige, hellgesichtige Frau, die ihren Mantel nicht auszog. Sie hatte einen starken Akzent und sprach langsam, als wäge sie jedes Wort ab, und das tat sie auch, sie konnte schöne Sätze sagen, ich hörte ihr gern zu. Sie sprach nur mit mir. Wenn sie zuhörte, glich sie einer Eule. Glotzaugen und ein Schnabelmündchen. Mit Leifs jüngeren Schwestern hatte ich wenig Kontakt. Janna war erst sieben, besuchte die erste Klasse Volksschule, ein dünnes, stupsnasiges Mädchen. Olivia misstraute mir, das spürte ich, sie tauchte vor der Garage auf, spähte durchs Fenster und lauschte. Wenn ich ihr zulächelte, drehte sie sich weg; wenn ich sie ansprach, antwortete sie nicht. Auch Herr Wohlwend besuchte uns hin und wieder. Er blieb in der Tür stehen, spöttelte über uns und spendierte uns eine Old Gold. Er sei die rechte Hand des Vaters, stellte ihn Leif vor. Dunkelhaarig und kurz geschoren war er und hatte Brauen wie ein Querbalken über der dunklen Nase, als hänge ihm ein Hammer im Gesicht. Ich versuchte, ihn zu beeindrucken. Ein zweites Mal versuchte ich es nicht mehr.
     
    Leif war begeistert von Reichtum. Er besaß ein Buch über die reichsten Männer der Welt.
    »John Davison Rockefeller senior war erst neunzehn Jahre alt, als er ins Ölgeschäft eingestiegen ist!«, rief er mit ebenso viel Verzweiflung wie Bewunderung in der Stimme und schlug mit der flachen Hand auf das Bild des Mannes, dessen Gesicht mir ohne irgendeinen Zug besonderer Klugheit, Cleverness oder Ehrgeiz erschien. »Das heißt, ich hätte gerade noch vier Jahre Zeit! Aber wir stecken in der Schule! Mit zwanzig war er Multimillionär! Und er hat nichts geerbt! Mit fünfzehn war er Hilfsbuchhalter gewesen. Bei uns gibt es kein Öl. Ich könnte tun, was ich will, es gibt einfach kein Öl hier. In Liechtenstein wäre es am profitabelsten, man würde eine Bank gründen, wie Mayer Amschel Rothschild« – er blätterte eilig zum Kapitel über die Rothschilds, wo das Porträt eines Mannes mit Platte und weißem Haarkranz zu sehen war, auf dessen Brust ein Orden in Form eines Kreuzes prangte und der aus panischen Augen am Betrachter vorbeischaute, als stünde in dessen Rücken ein Abgesandter der Államvédelmi Hatóság. »Er hieß übrigens Mayer mit Vornamen, Amschel Mayer mit Vornamen, nicht Amsel, sondern Amschel, ich hab’s nicht falsch ausgesprochen, schau her: Amschel. Die haben tolle Namen gehabt, findest du nicht auch? Aber in Liechtenstein gibt es schon einen Haufen Banken, und ob man noch eine gründen soll, was meinst du?« – Und er gab mir Einblick in den Kern seiner Philosophie des Kapitalismus: »Ich will nicht nur einfach erben, das werde ich sowieso. Am besten wäre es, einer zu sein wie Henry Ford« – ein Mann wie ein Gespenst, blass, silbern, schmallippig – »in Amerika ist das ein normaler Name, in Amerika gibt es Tausende, die so heißen, das ist wie Leif Lundin in Schweden. Der Ford hat mit fünfzehn seinen ersten Verbrennungsmotor gebaut, in unserem Alter! Seine Eltern waren Farmer, er ist nicht aufs Gymnasium gegangen, hat keine Ahnung von Latein oder Griechisch gehabt und hat alles allein bewerkstelligt. Ich will schon erben, nicht, dass du mich falsch verstehst, Erben ist wie Anlauf nehmen beim Weitsprung, wer erbt, darf Anlauf nehmen, wer nicht erbt, muss aus dem Stand springen.« Seine größte Bewunderung aber galt Guido Henckel von Donnersmarck – das Foto im Buch zeigte einen erstaunt und zugleich empört vorausblickenden Mann mit einem wie mit der Brennschere ondulierten Matratzenbart –, dieser »Wirtschaftskapitän« habe unglaublich viel geerbt und unglaublich viel dazuerworben, Eisenhütten, Zinkhütten, Kohlebergwerke, Papierfabriken, Walzwerke. Seinen vollständigen Namen spulte Leif mit fast religiöser Hingabe vor mir ab: »Guido Georg Friedrich Erdmann Heinrich Adelbert Graf Henckel Fürst von Donnersmarck – genannt ›Der Henckel‹ oder ›Der Donnersmarck‹!«
    Es war aufschlussreich, sich mit Leif zu unterhalten. Zum Beispiel war mir bisher nicht klar gewesen, was für eine Bedeutung die Zukunft für den Menschen hat, wo es sie doch gar nicht gibt, genau genommen. Er hatte auch zu dieser Frage eine fest umrissene und mit seinem Vater abgestimmte Meinung. Die Zukunft, gaben mir Vater und Sohn

Weitere Kostenlose Bücher