Die Abenteuer des Röde Orm
es betastete.
»Vor einer Weile war es noch schlimmer«, sagte sie. »Aber wenn du mich stützt, kann ich ja wohl nach Hause hinken.«
Rapp blickte finster vor sich hin und sagte nachdenklich: »Ob mit deinem Knie etwas geschehen ist, kann ich nicht wissen, denn dein Schreien kostet dich nichts. Aber Orm soll nicht sagen dürfen, daß ich seinen Gast ohne Grund erschlagen habe. Vater Willibald weiß alles am besten, und er soll entscheiden.«
Sie gingen nun heim; es ging schlecht und recht, wenn auch Torgunn ihrer großen Schmerzen wegen unterwegs oft ausruhen mußte; das letzte Stück mußte sie sich auf beide Männer stützen, indem sie jedem einen Arm um den Hals legte.
»Du hängst dich merkbar an mich«, sagte Rapp, »und doch fällt es mir nicht leicht, dir in alledem Glauben zu schenken.«
»Glaub, was du willst«, sagte Torgunn, »aber soviel weiß ich, daß mein Knie nie wieder gut werden wird. Mein Fuß klemmte sich zwischen zwei Wurzeln, als ich von einem umgestürzten Baumstamm herabsprang. Nun werde ich gewiß ein steifes Bein behalten.«
»Das Besprechen hat also nichts genützt?« sagte Rapp düster.
Torgunn wurde zu Bett gebracht, und Vater Willibald nahm sich ihrer an. Rapp nahm sofort Orm und Ylva beiseite; er erzählte ihnen, was geschehen war und was ihm am wahrscheinlichsten schien. Orm und Ylva meinten beide, das sei eine betrübliche Sache, und es wäre sehr schade, wenn es nun zwischen Rapp und Torgunn Zwietracht geben würde.
»Es ist eine deiner guten Seiten, daß du nie den Kopf verlierst«, sagte Orm zu Rapp. »Sonst hättest du ihn vielleicht getötet, und das wäre sehr schlimm gewesen, falls er unschuldig ist. Denn der Totschlag eines Priesters würde uns allen Gottes Strafe zuziehen.«
»Ich denke besser von Torgunn als du, Rapp«, sagte Ylva. »Man verrenkt sich nur zu leicht das Knie, wenn man über Stock und Stein klettert. Und du sagst ja selbst, daß du nichts gesehen hast.«
»Aber was ich dort mitten im Wald sah, war schlimm genug.«
»Man tut gut, in solchen Dingen nicht übereilt zu urteilen«, sagte Orm. »Du erinnerst dich ja wohl, welches Urteil der Richter meines Herrn Almanzur in Cordova fällte, damals als Toke Grägullesson sich in die Frauenstube des ägyptischen Zuckerbäckers in der Büßergasse geschlichen hatte. Ein Zugwind hatte den Vorhang vom Fenster geweht, so daß vier Freunde des Zuckerbäckers dessen Gemahl und Toke auf dem Ruhebett liegen sahen.«
»Daran erinnere ich mich gut«, sagte Rapp, »aber die waren ja Heiden.«
»Ich würde gern wissen, wie es jener Frau ergangen ist«, sagte Ylva.
»Der Zuckerbäcker trat in zerrissenen Kleidern vor den Richter und mit ihm seine vier Zeugen. Er verlangte, daß Toke und die Frau als Ehebrecher gesteinigt würden; und Almanzur, mein Herr, hatte selbst befohlen, daß in dieser Sache streng nach dem Gesetz gerichtet würde, obschon Toke zur Leibwache gehörte. Der Richter fragte die vier Zeugen genau aus, und drei von ihnen behaupteten, daß sie alles genau gesehen hätten; der vierte aber war alt und hatte schwache Augen, daher hatte er nicht so genau wie die anderen unterscheiden können, was vorging. Nun verlangt das Gesetz des Propheten Mohammed – ein Gesetz, das Allah mit eigener Hand in ein heiliges Buch geschrieben hat –, daß vier Zeugen alles klar und deutlich gesehen haben müssen, bevor jemand wegen Ehebruchs verurteilt werden kann. Daher erklärte der Richter, daß Toke und die Frau unschuldig seien, daß aber dem Zuckerbäcker die Fußsohlen mit Ruten gestrichen werden sollten, weil er eine falsche Anzeige gemacht habe.«
»In jenem Lande müssen die Frauen es gut haben«, sagte Ylva, »denn viel mag geschehen, ehe man sich von vier Zeugen ertappen läßt. Das Los des Zuckerbäckers scheint mir aber recht hart.«
»Er selbst war späterhin nicht dieser Meinung«, sagte Orm. »Denn nach dieser Geschichte kam er bei der Leibwache in Ruf; wir gingen oft in seinen Laden, um mit ihm zu scherzen und seinen süßen syrischen Met zu trinken, so daß sein Verdienst sehr stieg und er Allah pries für das Glück, das ihm geworden war. Aber Toke blieb dabei, daß diese Sache, obwohl sie gut abgelaufen war, ihm doch eine Warnung sein müsse, und er wagte sich nicht mehr an diese Frau heran.«
Nun kam Vater Willibald herbei und berichtete, daß es mit der Knieverrenkung seine Richtigkeit habe.
»Und bald wird das Knie geschwollen sein«, sagte er zu Rapp, »daß sogar du selbst wirst sehen
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