Die Abenteuer des Röde Orm
für ungeübte Leute pflegt das ein mühsamer Zeitvertreib zu sein, zumal, wenn die See so hoch geht wie heute. Dann werden sie mit Sehnsucht daran zurückdenken, wie sie noch kurz zuvor friedlich und ohne sich dabei anzustrengen, hatten speien dürfen.«
»Wir machen am besten Olof zum Aufseher über das Rudern«, sagte Toke. »Er weiß, daß man ihm gehorcht.«
»Gehorchen wird man ihm vielleicht«, sagte Orm, »aber seiner Beliebtheit würde es schaden. Das ist immer eine schwierige Aufgabe, und sie ist am schlimmsten, wenn die Ruderer freie Männer sind, die nicht gepeitscht werden dürfen.«
»Aber es würde ihn vielleicht aufmuntern«, sagte Toke. »Er scheint mit seinen Gedanken weit weg zu sein, und ich kann das gut verstehen.«
Olof Sommervogel war der Sinn schwer. Er hatte sich dicht neben den beiden niedergelegt, dämmerte vor sich hin und sprach nicht viel. Aber nach einer Weile sagte er, er wisse nicht recht, ob er seekrank oder liebeskrank sei und ob man wohl über Nacht an der Küste anlegen würde? Orm und Toke meinten beide, das wäre unklug, wenn der Wind anhalte und der Himmel klar bleibe.
»Die Neulinge würden dadurch verwöhnt«, sagte Toke. »Froh, diesem hier entgangen zu sein, würde während der Nacht mehr als einer verschwinden und leicht wieder heim finden. Aber bis wir nach Gotland kommen, wird es ihnen schon besser gehen, und da kann ihnen wieder fester Boden gegönnt werden.«
Olof Sommervogel seufzte und sagte nichts dazu.
»Auf diese Weise«, sagte Orm, »sparen wir auch das Essen, das sie am Lande verzehren und dann ungenützt wieder von sich geben würden.«
Darin hatte er recht; denn der günstige Wind hielt an, und auf der Fahrt nach Gotland konnte bei den Mahlzeiten kaum die Hälfte der Männer ihren Anteil verzehren. Svarthövde erholte sich bald, und Ulf Frohsinn hatte von der Krankheit nichts gespürt; beide vergnügten sich damit, vor den Augen gar nicht eßlustiger, bleicher Männer die Speisen zu loben und an Knochen zu nagen. Aber sobald man in ruhigeres Fahrwasser gelangt war, holten die Kranken das Versäumte nach, so daß Orm meinte, noch nie ein so gewaltiges Essen gesehen zu haben.
»Aber es sei ihnen gegönnt«, sagte er. »Mag sein, daß sie sich jetzt schon ein wenig an die See gewöhnt haben.«
Im Hafen von Vi auf Gotland lagen so viele Schiffe, daß Orm anfangs im Zweifel war, ob er sich hineinwagen sollte. Der Drachenkopf wurde herabgeholt und der Friedensschild aufgesetzt, und so ruderten sie, ohne gestört zu werden, hinein. Die Stadt war ansehnlich; dort gab es viele Seefahrer und reiche Kaufleute, und Orms Männer hatten dort viel zu begaffen. Da gab es Häuser, die ganz und gar von Stein waren, andere waren nur dazu da, damit man in ihnen Bier trank; und mit Ringen von hellem Gold wanderten muntere Freudenmädchen umher und spuckten jeden an, der nicht gemünztes Silber in der Faust hatte. Aber worüber sie sich in dieser Stadt am allermeisten verwunderten, das war eine Merkwürdigkeit, die sie nicht für wahr halten konnten, bevor sie mit eigenen Augen sie lange betrachtet hatten. Ein Mann aus Sachsenland brachte nämlich den lieben langen Tag damit zu, den reichen Städtern den Bart vom Kinn zu schaben. Dafür bekam er jedesmal von dem, den er so bearbeitet hatte, eine Kupfermünze; auch dann, wenn er ihm blutende Wunden zugefügt hatte. Orms Leute fanden diese Erwerbsart wenig erstrebenswert und hielten sie für seltsamer als alles, was sie bisher gesehen oder gehört hatten.
Olof Sommervogel war nun bei besserer Laune; er und Orm machten sich auf die Suche nach einem tüchtigen Steuermann, und nur wenige Leute blieben an Bord zurück, denn alle wollten die Beine strecken und auch ihren Durst löschen. Aber Toke blieb an Bord, um das Schiff zu bewachen.
»Das gotländische Bier ist so gut«, sagte er, »daß ich mal in jungen Jahren in diesem Hafen recht viel davon getrunken habe. Das machte mich unternehmend, so daß ein Mann erschlagen wurde; und nur mit knapper Not, schwimmend, kam ich mit dem Leben davon. Die Gotländer haben in allem ein gutes Gedächtnis, und es wäre schlimm, nach einer solchen Sache wiedererkannt zu werden, jetzt, da wir doch an Wichtigeres zu denken haben. Ich bleibe deshalb an Bord, und wer an Land geht, möge sich gut in acht nehmen, denn mit Fremdlingen, die Ärgernis geben, hat man hier wenig Geduld.«
Orm und Olof kamen mit dem Steuermann, den sie gefunden hatten, zum Schiff. Er war ein kleiner, untersetzter
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