Die Abenteuer des Röde Orm
hatten, und auch dann noch schien ihnen die Summe reichlich groß. – Nach diesem ließen sie die Männer nur noch an Land, wenn sie vorher ihre Waffen abgelegt hatten.
Sones Söhne waren wohlhabende Leute, die es sich leisten konnten, an Land fleißig zu trinken; dennoch fiel es ihnen nicht leicht, ihre düsteren Gedanken loszuwerden. Am zweiten Tage erschienen sie alle zusammen – eine Schar von zehn – wieder am Schiff; den elften Bruder trugen sie, denn in ihm war nur noch wenig Leben. Gewiß hätten sie ihn gewarnt, sagten sie, aber trotzdem habe er sich heimlich einem jungen Frauenzimmer genähert, das im Garten hinter einer Hütte Kohl gehäufelt habe. Mit guten Worten und einigen geschickten Griffen habe er bald erreicht, daß sie am Boden lag; aber da sei eine Alte herbeigelaufen und habe ihm die Hacke in den Schädel geschlagen. Und da sei denn nichts mehr zu machen gewesen.
Toke betrachtete den Verletzten und sagte, er habe nicht mehr lange zu leben. Und so war es: er starb in der Nacht. Die Brüder begruben ihn sorgsam und tranken auf sein Heil und auf seine glückhafte Totenfahrt.
Obschon sie den Toten vermißten und ihm nur Gutes nachsagten, war ihnen nun merklich leichter zumute. Denn von nun an, sagten sie untereinander, gebe es nur noch drei, denen Unglück bevorstehe; mithin seien sie ein Viertel ihrer Sorgen los.
Am nächsten Morgen ging das Schiff in See. Spof stand am Steuer; er hielt nordwärts. Orm sagte, es sei ja ungewiß, was die Zukunft bringe, aber eines wolle er doch hoffen: daß es ihm erspart sein werde, je wieder einen so kostspieligen Hafen anzulaufen wie das gotländische Vi.
Wie sie zum Dnjepr ruderten
Sie hielten gen Osten und fuhren um Gotland herum, an Osyssla vorbei und in die Düna. Dieser Flußlauf bildete den unteren Weg nach Miklagard und wurde meist von Gotländern benutzt. Der obere Weg führte über Balagard und dort, wo die Voter saßen, flußaufwärts zum Ladogasee und dann weiter über Nowgorod an den Dnjepr. Das war der Weg, den die Svealänder zu nehmen pflegten.
»Welcher Weg der längere ist, weiß niemand«, sagte Spof, »nicht einmal ich selbst kann das sagen, obschon ich sie beide befahren habe. Denn es ist nun mal so, daß der Gegenstrom der Mühsal immer gerade auf dem Wege, den man gewählt hat, am schlimmsten scheint, mag es nun der eine oder der andere sein. Aber es ist gut, daß wir spät kommen, so daß die Frühlingsschmelze uns erspart bleibt.«
Als sie die Flußmündung erreicht hatten, waren die Männer guten Mutes, obschon sie wußten, daß nun eine lange Zeit der Mühen für sie begann. Und nachdem bestimmt worden war, daß, wer am Ruder saß, jeden vierten Tag ruhen sollte, ruderten sie durch die Gegend der Liven und Semgallen, wo mitunter am Ufer Fischerboote zu sehen waren; und von da kamen sie in ein menschenleeres Land, wo außer der vom Fluß gezogenen Furche nichts zu sehen war als dichter Wald, der zu beiden Seiten aufragend kein Ende zu nehmen schien. In diesem Lande wurde den Männern bange. Mitunter, wenn sie über Nacht an Land gegangen waren und an ihren Lagerfeuern saßen, hörten sie von fern her ein Brüllen, das von Tieren, die sie nicht kannten, herkam, und sie fragten einander flüsternd, ob dieses vielleicht der Eisenwald sei, von dem die Alten zu reden pflegten und in dem die Nachkommen des Gottes Loke hausten.
Eines Tages begegneten sie drei Schiffen, die schwer beladen und gut bemannt hintereinander flußab fuhren; jedes Schiff hatte nur sechs Ruder. Es waren heimfahrende Gotländer; die Männer waren mager und von der Sonne stark gebräunt; neugierig lugten sie nach Orms Schiff hinüber. Einige erkannten Spof und riefen ihm grüßend zu, und von Schiff zu Schiff redend glitten sie langsam aneinander vorbei. Die Gotländer sagten, daß sie aus Groß-Bulgarien kämen, das an der Wolga liegt; von dort seien sie flußab in das Salzmeer gefahren und hätten mit Arabern Handel getrieben. Sie erzählten auch, daß sie gute Ladung mit heimbrachten: Gewebe, Silbergefäße, Sklavinnen, Wein und Pfeffer; und drei Mann auf dem mittleren Schiff hoben eine nackte Frau empor und hingen sie an Armen und Haaren über den Schiffsbug hinaus, rufend, daß sie – unter Brüdern – für 12 Mark verkäuflich sei. In ihrer Angst vor dem Wasser heulte und strampelte die Frau, und Orms Mannen atmeten tief bei ihrem Anblick; aber als sie wieder ins Schiff gehoben wurde, ohne daß ein Angebot gemacht worden war, schrie und schimpfte sie
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