Die Abenteuer des Röde Orm
viele Männer verloren hätten; denn die Patzinaker seien – Krieg gegen alle führend – westwärts vorgedrungen und hielten nun den Fluß gesperrt. Es sei für niemand rätlich, noch weiter nach Süden zu fahren als bis Kiew, solange die Patzinaker nicht den Fluß verlassen und sich auf ihre östlichen Weideplätze zurückgezogen hätten.
Diese Neuigkeiten gaben Orm viel zu denken, und nachdem man sich von den Kaufleuten getrennt hatte, saß er still und in Grübeln versunken da.
Von dem, was bei den Stromschnellen geschah
An diesem Abend schlugen sie ihr Nachtlager am Strande nah einem Dorfe auf, wo es Schafe und Met zu kaufen gab. Nachdem sie gegessen hatten, besprach Orm mit Olof und Toke die Neuigkeiten, die man gehört hatte, und sie berieten, wie nun, da man sich dem Ziel der Reise näherte, alles am besten anzugreifen sei.
Sie bestiegen das leere Schiff, um ungestört durch Lauscher reden zu können; dort saßen sie in der Abendstille beisammen, während Libellen über der Wasserfläche spielten und der Fluß sachte glucksend das Schiff umspielte. Orm glaubte viel Ursache zu Besorgnis zu haben.
»Nun steht es für uns so«, sagte er, »daß kluge Pläne geschmiedet werden müssen, wenn alles glücklich ausgehen soll. Außer euch und mir und den beiden Knaben, die zu schweigen verstehen, ahnt niemand etwas vom Schatz; die Männer wissen bloß, daß wir nach Kiew fahren, um ein Erbe zu holen. Nicht einmal Spof habe ich noch mehr als das gesagt. Aber nun müssen bald alle erfahren, daß unser Ziel die Stromschnellen sind und daß das Erbgut dort verborgen liegt. Aber sagen wir das, so weiß bald ganz Kiew davon, denn Männer, die sich in einem guten Hafen ans Trinken machen, halten nicht länger dicht als bis zur dritten Kanne, auch wenn ihnen zur Strafe für ihr loses Maul der Tod droht. Und erfährt der Großfürst nebst seinen Mannen von unserer Sache, dann ist uns Unglück gewiß: denn dann werden viele das Gold und Silber mit uns teilen oder noch lieber uns umbringen und den Schatz für sich allein behalten wollen. Und überdies sind auch die Patzinaker nicht zu vergessen; die lauern uns an den Stromschnellen auf.«
Auch Olof und Toke meinten, daß hier viel überlegt werden müsse. Toke wollte wissen, wie weit es von Kiew bis zu den Stromschnellen sei, und ob man hoffen dürfe, unterwegs Eßvorräte zu bekommen.
»Von Kiew bis zu den Stromschnellen sind es gute neun Tagereisen«, sagte Olof, »aber Spof weiß darüber besser Bescheid als ich. Als ich dort hinunterfuhr, tauschten wir uns Eßvorräte bei den Hirten am Ufer ein, und auch aus einem reichen Dorf der Severianer nahmen wir viel mit. Aber wenn Unfrieden dort herrscht, mag es anders sein.«
»Es wäre unklug, nach Kiew zu kommen, ohne daß unsere Leute wüßten, was wir vorhaben«, sagte Toke. »Dort mag sich mancherlei finden, was sie anlockt, und viele würden sich vielleicht weigern, noch weiter mitzufahren, da wir immer nur Kiew als Reiseziel genannt haben.«
»Das schlimmste ist, daß der Großfürst sofort viele der unseren wird anwerben wollen, ja, am liebsten uns alle«, sagte Olof. »Ich habe dem Großfürsten Wladimir gedient und weiß, wie es in Kiew zugeht. Reichlichen Sold hat er stets gezahlt, und gibt es jetzt Unfrieden, so zahlt er gewiß noch mehr. Er kann nämlich nie genug Nordmänner in seinem Heer haben; denn er hält sie – was ja auch stimmt – für die besten aller Krieger; und seit einige Männer von Svealand ihm in jungen Jahren auf den Fürstenstuhl verhalfen, liebt er uns Nordmänner über die Maßen. Und er stammt ja im Grunde selbst aus Svealand. Er versteht es, Nordmänner auf mancherlei Art anzulocken, so daß sie in Kiew bleiben, auch wenn es nicht vor allem sein Gold ist, das sie besticht.«
Orm nickte und schaute gedankenvoll in den Strom. »Viel spricht gegen einen Besuch beim Großfürsten«, sagte er. »Aber sein Ruf ist so groß und seine Weisheit so gefeiert, daß es verdrießlich wäre, vorbeizufahren an seiner Stadt, ohne ihn gesehen zu haben. Es mag ja sein, daß er niemand Geringerem gleicht als König Harald. Man sagt, daß er nun in seinen alten Tagen für heilig gilt, obschon ihm lange nicht viel daran gelegen war, es dahin zu bringen. Aber vor allem müssen wir an das Wichtigste denken. Wir haben ein Geschäft, und das ist: den Schatz zu holen. Und haben wir den gefunden, so kommt ein zweites hinzu, nämlich: das Gefundene schnell und unversehrt heimzubringen. Und ich glaube, wir sind
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