Die Abenteuer des Röde Orm
Lister zu erheiraten und dort in der Gegend ein angesehener Mann zu werden. Bei diesen Worten gab auch er den Mönchen drei Goldmünzen und versetzte sie durch so große Freigebigkeit in größtes Staunen. Die anderen Männer sahen nicht so aus, als ob ihnen das sehr gefiele; aber ihres Ansehens wegen gaben auch sie etwas, alle außer Grinulf. Der wurde seiner Knickerigkeit wegen arg verhöhnt, aber er grinste nur mit seinem schiefen Munde und kratzte sich den Backenbart und war mit sich selbst sehr zufrieden. »Ich bin ja kein Häuptling«, sagte er, »und außerdem fange ich an, alt zu werden. Mich heiratet kein Mädchen, das einen Hof zu erwarten hat, ja nicht einmal ein altes Weib. Daher ist es mein gutes Recht, geizig zu sein.«
Als nun die Sklaven wieder an Bord genommen und angekettet worden waren, segelte Orm von der Insel des heiligen Finnian südwärts rund um Irland; er bekam günstigen Wind und hatte eine gute Reise. Obwohl sie sich in Ziegenfelle hüllten, litten alle unter der herbstlichen Kühle, denn Orm und seine Mannen hatten sich nun so lange im Süden aufgehalten, daß ihre Haut gegen kaltes Wetter empfindlicher war als ehedem. Aber der Heimat so nahe, waren sie alle guten Mutes, und das einzige, was sie noch fürchteten, waren seefahrende Landsleute, nach denen sie scharf ausschauten. Denn die Mönche hatten gesagt, daß dänische Wikinger die Küsten Englands mehr denn je umschwärmten, seit der mächtige König Brian das Betreten Irlands verwehrte. Statt dessen hieß es nun von England, daß es sich dort am besten plündern lasse. In seiner Angst, die Beute seiner Landsleute zu werden, hielt Orm das Schiff weitab vom Festlande, als sie durch den englischen Sund steuerten. Sie hatten Glück, denn sie entgingen allen Begegnungen und gelangten ins offene Meer. Nun spürten sie, daß die Wellenspritzer kälter waren. Sie segelten weiter, bis sie die Küste Jütlands erblickten. Da lachten alle vor Freude, denn es tat gut, wieder Land zu sehen, das zum Dänenreiche gehörte, und sie wiesen auf die Landeszeichen, die sie vor langer Zeit – damals, als sie mit Krok hinausgesegelt waren – gesehen hatten.
Sie fuhren um Skagen herum, hielten südwärts und bekamen nun Windschutz vom Lande her; da mußten die Sklaven wieder rudern, soviel sie konnten, während die Jakobsglocke den Takt dazu sang. Sie sprachen mit Leuten in Fischerbooten, denen sie begegneten, und erfuhren, wie weit es noch bis Jellinge war, wo König Harald hofhielt; und sie putzten nun ihre Waffen und sahen nach ihren Kleidern, um als ansehnliche Leute vor den König hintreten zu können.
Es war früh am Morgen, als sie nach Jellinge gerudert kamen und an einer Landungsbrücke anlegten; sie konnten den Königshof sehen, der etwas landeinwärts auf einem Hügel lag und von einem Erdwall und Pfahlwerk umgeben war. Drunten bei den Bootsbrücken lagen einige Hütten; da kamen Leute hervor und starrten Orm und seine Mannen an, denn es war ihnen anzusehen, daß sie aus der Fremde kamen. Mit der Plattform und den Rollen, die sie schon in Asturien benutzt hatten, schoben sie die Glocke an Land, und Neugierige aus den zunächst gelegenen Hütten sammelten sich, um eine solche Seltenheit zu betrachten und um zu hören, woher diese Fremdlinge kamen. Nach so langem Aufenthalt in der Fremde schien es Orm und seinen Leuten seltsam, die eigene Sprache von jedermann gesprochen zu hören. Sie lösten die Gefangenen von der Kette und spannten sie vor die Glocke, um sie zum König hinaufschaffen zu lassen.
Nun hörte man vom Königshof her Unwesen und Geschrei, und sie sahen einen dicken Mann in langer Kutte den Hügel herab auf sie zulaufen. Er war rasiert und hatte ein silbernes Kreuz auf der Brust, und Entsetzen stand ihm im Gesicht. Atemlos kam er bei den Hütten an und streckte die Arme aus. »Egel!« rief er, »Egel! Ist hier kein Barmherziger, der Blutegel hat? Ich muß sofort Blutegel haben, kräftige, gesunde Blutegel!« Es war leicht, ihm anzuhören, daß er Ausländer war, aber obwohl er nach Atem schnappte, rührte sich doch seine Zunge auf dänisch mit großer Geschwindigkeit.
»Über unsere Egel ist Krankheit gekommen, so daß sie nicht mehr anbeißen wollen«, sagte er. »Und Egel sind das einzige, was hilft, wenn er Zahnschmerzen hat. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes; ist denn niemand da, der Blutegel hat?«
Aber niemand hier unten hatte Blutegel im Hause, und der dicke Mann stöhnte und sah ganz hilflos
Weitere Kostenlose Bücher