Die Abenteuer des Röde Orm
großer König war, obschon er keinen königlichen Staat trug und angstvoll blickte. In trauriger Erwartung sah er mit großen runden Augen die Leute in der Kammer an und die Glocke, die hereingetragen wurde. Doch er schien sich wenig um das zu kümmern, was er sah, und atmete kurz und keuchend, als sei er außer Atem gewesen. Denn der Schmerz hatte für einen Augenblick aufgehört, und er saß da und wartete darauf, daß er wieder anfange. Er war hochgewachsen und kräftig, dickbäuchig und von breiter Brust; sein Gesicht war groß und rot, und die blanke Haut hatte keine Runzeln. Sein Haar war weiß, aber der Bart, der ihm breit und dick wie zwei Landzungen auf der Brust lag, war gelblich, und vorn in der Mitte, von der Unterlippe herab, war ein schmaler Streifen hellgelb geblieben, ganz ohne jedes Weiß. Rings um den Mund war der Bart von allem, was er gegen die Schmerzen eingenommen hatte, naß geworden, so daß die beiden blauen Augenzähne, die nicht nur ihrer Farbe, sondern auch ihrer Länge wegen weit bekannt waren, mehr als sonst wie die Hauer eines alten Ebers hervorlugten. Seine Augen standen vor und waren blutgesprenkelt; und Macht und Gefahr schien in ihnen zu wohnen, wie auch in seinen dichten grauen Augenbrauen und seiner breiten Stirn.
So sah König Harald aus, als Orm und seine Mannen ihn zum erstenmal sahen, und Toke sagte nachher, ihm sei damals der Gedanke gekommen, daß wenige alte Könige sich bei Zahnschmerzen so echt königlich ausnehmen würden wie er.
Bischof Poppo war nicht mit im Zimmer, denn er hatte die ganze Nacht beim König gewacht und Gebete für ihn zum Himmel gesandt; und er hatte Lästerungen und drohende Worte anhören müssen, wenn der Schmerz stark war, so daß er schließlich gegangen war, um sich zu erholen. Aber Bruder Willibald, der mit Bruder Matthias die ganze Nacht hindurch allerlei Heilmittel versucht hatte, war immerzu in Bewegung und guten Mutes. Er war ein kleiner vertrockneter Bursche, völlig haarlos, mit einer großen Nase und zusammengekniffenen Lippen; quer über den Schädel lief ihm eine rote Narbe. Er nickte emsig zu Bruder Matthias’ Erzählung und streckte die Arme aus, als die Glocke hereingebracht wurde.
»Das ist in Wahrheit ein Wunder«, sagte er mit seiner scharfen eifrigen Stimme. »Gleichwie die Raben des Himmels in der Wüste mit Speise zum einsamen Propheten Elias kamen, so sind diese Weitgereisten uns zu Hilfe gekommen mit heiliger Kraft. Nur für eine kurze Weile ist es uns mit weltlichen Mitteln gelungen, den Schmerz zum Verschwinden zu bringen, denn er ist sogleich wiedergekehrt, wenn unser königlicher Herr in Ungeduld den Mund geöffnet hat, und so ist es die ganze Nacht gegangen. Nun aber ist die Heilung uns sicher. Jetzt mußt du, Bruder Matthias, die Glocke mit Weihwasser waschen, und mir scheint, es wäre am besten, wenn du sie auf die Seite legen ließest und sie innen wüschest, denn auf der Außenseite sehe ich nicht den Staub, den wir brauchen. Unterdessen werde ich das übrige zusammenmischen.«
Die Glocke wurde nun umgestürzt, und Bruder Matthias wusch sie mit einem Lappen, den er in Weihwasser tauchte und nach dem Waschen über einer Schüssel auswrang. Alter Staub war in der Glocke reichlich vorhanden, so daß das ausgewrungene Wasser schwarz wurde, und darüber freute sich Bruder Matthias sehr. Unterdessen war Bruder Willibald mit seinen Heilmitteln beschäftigt, die er in einer großen lederbezogenen Kiste verwahrte, und dabei richtete er an alle, die zuhören wollten, einige unterweisende Worte.
»In Fällen wie diesem eignet sich die alte gregorianische Vorschrift am besten; für Zahnschmerz ist sie einfach und ohne jedes Geheimnis. Weißdornsaft, Schweinsgalle, Salpeter und Ochsenblut nebst einer Fingerspitze Meerrettich und einigen Tropfen Wacholderbeeröl; alles vermischt mit ebensoviel vom Weihwasser, in dem die heilige Reliquie gewaschen worden ist. Das Ganze wird beim Absingen von drei Liedern dem Kranken in den Mund gegossen, und das wird dreimal wiederholt. Dies ist das sicherste Mittel, das die ärztliche Heilkunst gegen Zahnschmerz kennt, und es versagt nie, wenn die Reliquie genügend kräftig ist. Die apulischen Ärzte des alten Kaisers Otto nahmen statt Ochsenblut gern Froschblut, aber heute hat man diesen Standpunkt aufgegeben, und das ist gut, denn im Winter ist es nicht leicht, Froschblut herbeizuschaffen.«
Er nahm aus seiner Kiste einige kleine Metallflaschen hervor, zog die Stöpsel heraus und roch
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