Die Abenteuer des Röde Orm
Verhalten kaum leisten; denn mit mir steht es so, daß ich lieber der Rabe bin als der, den der Rabe hackt. Aber solange ich dein Gast bin, glaube ich, ebensogut wie jeder andere Frieden halten zu können, ganz gleich, welchen Göttern das Fest gilt. Denn du bist mir ein guter Schwiegervater gewesen, und mit dir habe ich nie Streit gehabt. Aber nun muß ich dir leider sagen, daß deine Tochter Tyra tot ist; und ich hätte gern bessere Neuigkeiten mitgebracht.«
»Das ist eine traurige Botschaft«, sagte König Harald. »Woran ist sie gestorben?«
»Sie wurde mißmutig, als ich mir eine wendische Beischläferin nahm«, sagte Styrbjörn, »und sie geriet so in Zorn, daß sie Blut spuckte. Und dann schwand sie hin und starb. Sonst aber ist sie mir eine gute Frau gewesen.«
»Es ist nun einmal so, daß junge Leute leichter wegsterben als alte«, sagte König Harald. »Das habe ich schon längst gemerkt. Aber beim Jultrinken soll uns das den Sinn nicht allzusehr bedrücken, und ich habe immer noch so viele Töchter übrig, daß ich nicht weiß, wohin mit ihnen. Sie sind alle hochfahrend und wollen nur Männer heiraten, die weitberühmt und von hoher Herkunft sind, und wenn eine von ihnen dir paßt, brauchst du nicht lange als Witwer dazusitzen. Du sollst sie alle zu sehen bekommen; und es mag sein, daß um dieser Sache willen der Julfrieden unter ihnen schlecht gerät.«
»Es sind nicht gerade Heiratsgedanken, die ich nun am meisten im Kopf habe«, sagte Styrbjörn. »Aber davon können wir später reden.«
Aus Türen und von Altanen her wurde viel nach Styrbjörn ausgeschaut, als er mit seinen Mannen zur Badestube ging; denn er war hier ein seltener Gast und seit der Zeit der Lodbroksöhne der größte aller Seefahrer in den Nordlanden. Sein blonder Bart war kurz geschnitten, seine Augen waren blaßblau; und wer ihn früher noch nie gesehen hatte, äußerte wohl murmelnd sein Erstaunen darüber, daß er so schmal gebaut und so schlank war. Denn alle wußten von seiner großen Kraft, und daß er mit seinem Schwert, das »Wiegenlied« hieß, heergekleidete Männer vom Hals bis zum Schritt und ebenso Schilde wie Brotlaibe spaltete. Erfahrene Leute sagten, daß das alte Glück des Uppsalageschlechtes mit ihm sei und daß ihm daher die große Kraft komme und das Gelingen aller seiner Wagnisse. Aber man wußte auch, daß ihm etwas vom Fluch und vom bösen Verhängnis jenes Geschlechtes zuteil geworden war; deswegen war er nun ein landloser Häuptling. Und davon rührte es her, daß mitunter Müdigkeit und große Schwermut über ihn kam; dann pflegte er sich einzuschließen und tagaus, tagein finster murmelnd und mit Seufzen dazuliegen, ohne die Nähe eines anderen Menschen zu dulden als die einer Frau, die ihm das Haar kämmte, und eines alten Harfenspielers, der ihm Bier einschenkte und traurige Weisen spielte. Aber sobald die Schwermut von ihm wich, hatte er es stets eilig, aufs Meer hinaus und auf Heerfahrt zu kommen, und dann konnte er seine zähesten Mannen durch seine Verwegenheit und sein ständiges Mißgeschick mit dem Wetter müde und verzagt machen.
Deswegen war die Furcht um ihn her größer als um andere Häuptlinge, gleichsam als wohne in ihm etwas von der Gefahr und Macht, die den Göttern eigen ist; und es gab Leute, die meinten, daß er in der Fülle seiner Kraft nach Miklagärd fahren und sich dort zum Kaiser machen und mit gewaltigen Flotten das Rund des Erdkreises umsegeln werde.
Aber andere sagten, sie könnten es seinen Augen ansehen, daß er jung und im Unglück sterben werde. Nun war in König Haralds großer Halle alles zum Jul-Fest bereit, und den Männern wurden die Plätze auf den Bänken angewiesen. Frauen waren bei einem so großen Gelage nicht mit dabei; denn König Harald meinte, daß es schwer genug sei, den Frieden aufrechtzuerhalten, wenn Männer unter sich waren, viel schwerer aber würde das sein in Gegenwart von Frauen, denen sie in der Berauschtheit ihre herrische Art hätten zeigen wollen. Als alle auf ihren Plätzen saßen, verkündete der Stallmeister des Königs laut, daß fortan Christi und König Haralds Friede in der Halle herrsche und daß alles Eisen mit scharfer Schneide nicht anders als zum Zerlegen der Speise benutzt werden dürfe. Schlag- und Stechwunden und jedwede blutende Wunde, die einer dem andern mit Bierschoppen oder Bratenknochen, mit Holzteller, Vorlegelöffel oder mit geballter Faust beibringe, werde als vollzogener Totschlag gerechnet werden und als
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