Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
langsam ins Zimmer, wandte den Kopf von links nach rechts, und die Hand schwang die Schnur, an der sein goldenes Pincenez hing.
»Guten Tag, Lord St. Simon«, sagte Holmes, stand auf und verbeugte sich. »Bitte, setzen Sie sich in den Korbstuhl. Das ist mein Freund und Kollege Dr. Watson. Rücken Sie ein wenig zum Feuer, und wir werden die Angelegenheit durchsprechen.«
»Eine höchst peinliche Angelegenheit, wie Sie bald erkennen werden, Mr. Holmes. Ich bin zutiefst betroffen. Man sagte mir, Sie hätten bereits einige so delikate Fälle bearbeitet, Sir, wenn ich auch annehme, daß sie wohl nicht auf solch hohem gesellschaftlichem Niveau lagen.«
»Sie irren. Ich begebe mich hinunter.«
»Wie bitte?«
»Mein letzter Klient dieser Art war König.«
»Oh, wirklich! Das wußte ich nicht. Und welcher König?«
»Der König von Scandinavia.«
»Wie! War ihm seine Frau abhanden gekommen?«
»Sie werden verstehen«, sagte Holmes verbindlich, »daß ich den Affären meiner anderen Klienten die gleiche Diskretion zukommen lasse, die ich auch Ihnen verspreche.«
»Natürlich! Ganz recht! Ganz recht! Ich bitte um Entschuldigung. Was meinen Fall angeht, so bin ich bereit, Ihnen jede Information zu erteilen, die Sie brauchen, um sich eine Meinung zu bilden.«
»Danke. Ich bin im Bilde über das, was in den Zeitungen veröffentlicht wurde, mehr weiß ich nicht. Ich nehme an, das darf ich alles als richtig voraussetzen – diesen Artikel zum Beispiel, der sich mit dem Verschwinden der Braut befaßt.«
Lord St. Simon überflog ihn. »Ja, er stimmt soweit.«
»Aber es bedarf noch mancher Ergänzung, bevor man sich eine Meinung bilden kann. Ich denke, ich werde am besten an die von mir benötigten Fakten gelangen, wenn ich Sie befrage.«
»Bitte.«
»Wann sind Sie Miss Hatty Doran zum ersten Mal begegnet?«
»Vor einem Jahr. In San Francisco.«
»Sie bereisten die Staaten?«
»Ja.«
»Haben Sie sich damals verlobt?«
»Nein.«
»Aber Sie standen freundschaftlich zueinander?«
»Ihre Gesellschaft war mir angenehm, und sie bemerkte, daß sie mir angenehm war.«
»Ihr Vater ist sehr reich?«
»Es heißt, er sei der reichste Mann an der Pazifikküste.«
»Und wie hat er sein Geld verdient?«
»Durch Bergbau. Vor einigen Jahren besaß er noch nichts. Er stieß auf Gold, investierte es und kam mit großen Sprüngen voran.«
»Nun – was für einen Eindruck haben Sie vom Charakter der jungen Lady, Ihrer Frau?«
Der Edelmann schwenkte sein Pincenez ein wenig schneller und starrte ins Feuer. »Sie müssen verstehen, Mr. Holmes«, sagte er, »meine Frau war bereits zwanzig, als ihr Vater reich wurde. Sie ist frei in einem Schürferlager aufgewachsen, wanderte durch Wälder und Berge, so daß ihre Erziehung eher aus der Welt als von einem Schulmeister stammt. Sie ist das, was wir in England einen Wildfang nennen, eine eigenwillige Natur, ungebunden und frei, unbeleckt von jeder Art Tradition. Sie ist ungestüm – vulkanisch, hätte ich fast gesagt. Sie ist schnell entschlossen und setzt ihre Entschlüsse furchtlos in die Tat um. Auf der anderen Seite hätte ich ihr nicht den Namen gegeben, den zu tragen ich die Ehre habe«, (er ließ ein vornehmes Hüsteln hören), »wäre ich nicht überzeugt gewesen, daß sie im Grunde Adel besitzt. Ich glaube, sie ist zu heroischer Selbstaufopferung fähig und widerstrebt allem Unehrenhaften.«
»Haben Sie eine Fotografie von ihr?«
»Ich habe dies hier mitgebracht.« Er öffnete ein Medaillon und zeigte uns das Gesicht einer wunderschönen Frau. Es war keine Fotografie, sondern eine Miniatur auf Elfenbein, und der Künstler hatte die ganze Wirkung des prächtigen schwarzen Haars, der großen dunklen Augen und des vollkommenen Mundes eingefangen. Holmes betrachtete das Bild lange und ernst. Dann schloß er das Medaillon und reichte es Lord St. Simon zurück.
»Die junge Dame kam also nach London, und Sie erneuerten die Bekanntschaft?«
»Ja, ihr Vater brachte sie zur letzten Londoner Saison herüber. Ich traf sie einige Male, verlobte mich mit ihr und habe sie dann geheiratet.«
»Sie bringt, hörte ich, eine beträchtliche Mitgift ein.«
»Eine anständige Mitgift. Nicht mehr als in unserer Familie üblich.«
»Und die verbleibt selbstredend bei Ihnen, da die Trauung ein fait accompli ist?«
»In dieser Sache habe ich keine
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