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Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1

Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1

Titel: Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Schande, daß seine Familie ihn allein aus dem Haus gehen läßt.«
      Mein Freund erhob sich träge aus seinem Lehnstuhl und sah mir, die Hände in den Taschen seines Hausmantels, über die Schulter. Es war ein klarer, frischer Februarmorgen, und der tiefe Schnee vom Vortag bedeckte noch den Boden, glänzend in der Wintersonne. Auf der Straßenmitte hatte ihn der Verkehr in ein braunes, krümeliges Band verwandelt, aber an den Seiten und in den Haufen neben den Fußwegen lag er noch so weiß, wie er gefallen war. Das graue Pflaster hatte man gefegt und abgekratzt, doch da war es gefährlich glatt geworden, so daß weniger Leute als sonst die Straße bevölkerten. Aus Richtung der Metropolitan kam niemand außer dem Herrn, dessen exzentrisches Benehmen meine Aufmerksamkeit erregt hatte.
      Es war ein Mann von ungefähr Fünfzig, groß, kräftig gebaut, beeindruckend, mit breitem, markigem Gesicht und einer gebieterischen Figur. Er trug dunkle, aber teure Kleidung, einen schwarzen Gehrock, einen glänzenden Hut, schmucke braune Gamaschen und eine gutgeschneiderte perlgraue Hose. Doch seine Bewegungen standen in widersinnigem Kontrast zur Würde der Kleider und der Gestalt: er ging schnell, vollführte manchmal kleine Sprünge, wie ein ermatteter Mensch, dem es ungewohnt ist, viel darauf zu geben, wie sich seine Beine bewegen. Im Laufen warf er gelegentlich die Hände hoch, wackelte mit dem Kopf und verzerrte das Gesicht auf die sonderlichste Weise.
      »Was, um Himmels willen, ist mit ihm los?« fragte ich. »Er schaut aus nach den Hausnummern.«
      »Ich glaube, er will zu uns«, sagte Holmes und rieb sich die Hände.
      »Zu uns?«
      »Ja, ich denke, er will uns um Rat fragen. Mir scheint, ich kenne die Symptome. Ha! habe ich es Ihnen nicht gesagt?« Während Holmes sprach, war der Mann keuchend und pustend vor unserer Tür angekommen und riß nun an der Glocke, daß das ganze Haus von ihrem Ton widerhallte.
      Ein paar Sekunden später stand er bei uns im Zimmer, noch immer schnaufend und gestikulierend, aber in seinen Zügen lag so viel Leid und Verzweiflung, daß sich unser Lächeln sofort verzog und Schreck und Mitleid Platz machte. Zunächst brachte er kein Wort hervor, schwankend stand er da und riß sich an den Haaren wie einer, den es an die Grenzen des Verstandes getrieben hat. Dann machte er einen plötzlichen Satz und schlug mit dem Kopf so gewaltig gegen die Wand, daß wir uns beide auf ihn warfen und ihn in die Mitte des Zimmers zogen. Sherlock Holmes drück te ihn in den Lehnstuhl, setzte sich neben ihn, tätschelte ihm die Hand und redete in dem unbeschwerten, beruhigenden Ton auf ihn ein, den er so gut zu gebrauchen wußte.
      »Sie sind gekommen, um mir Ihre Geschichte zu erzählen, nicht wahr?« sagte er. »Sie sind erschöpft vom schnellen Gehen. Bitte, warten Sie, bis Sie sich wieder erholt haben, und es wird mir eine Freude sein, einen Blick auf Ihr kleines Problem zu werfen, wenn Sie es vor mir ausbreiten.«
      Der Mann saß schwer atmend eine Minute oder länger und kämpfte gegen seine Erregung an. Dann fuhr er sich mit dem Taschentuch über die Stirn, preßte die Lippen zusammen und wandte sich uns zu.
      »Sie denken sicherlich, ich bin verrückt«, sagte er.
      »Ich sehe, daß Sie große Sorgen haben«, entgegnete Holmes.
      »Die habe ich, bei Gott, Sorgen, die genügen würden, mich um den Verstand zu bringen, so plötzlich und so furchtbar ist alles gekommen. Öffentliche Schande hätte ich ertragen können, obwohl ich ein Mann von makellosem Charakter bin. Persönlicher Kummer kann jeden ereilen, aber beides zusammen, und dazu auf so erschreckende Art und Weise, das hat ausgereicht, mich bis ins Innerste zu erschüttern. Außerdem bin ich nicht allein betroffen. Die Edelsten des Landes könnten betroffen werden, wenn es nicht gelingt, aus dieser gräßlichen Affäre herauszufinden.«
      »Bitte, fassen Sie sich«, sagte Holmes, »und berichten Sie mir, wer Sie sind und was Ihnen zugestoßen ist.«
      »Mein Name«, antwortete unser Besucher, »ist Ihren Ohren wahrscheinlich nicht fremd. Ich bin Alexander Holder vom Bankhaus Holder and Stevenson in der Threadneedle Street.«
      Selbstverständlich kannten wir den Namen gut, es war der des Seniorpartners des zweitgrößten Bankkonzerns in der City. Was konnte nur geschehen sein, daß einer der vornehmsten Bürger Londons in diesen äußerst bedauernswerten Zustand geraten war? Wir warteten gespannt, bis er

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