Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
sich nach einer neuerlichen Anstrengung durchgerungen hatte, seine Geschichte zu erzählen.
»Ich spüre, daß Zeit wertvoll ist«, sagte er, »und darum bin ich gleich hergeeilt, als der Inspektor mir vorschlug, ich sollte mich Ihrer Mitarbeit versichern. Ich bin mit der Untergrundbahn bis Baker Street gefahren und habe den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt, denn die Droschken fahren bei dem Schnee zu langsam. Ich bin so außer Atem geraten, weil ich keine Übung besitze. Jetzt fühle ich mich besser, und ich werde Ihnen die Tatsachen so kurz und klar wie möglich darlegen.
Es ist Ihnen natürlich bekannt, daß ein erfolgreiches Bankgeschäft genausosehr davon abhängt, lohnende Investitionen zu tätigen, wie davon, Beziehungen auszuwerten und die Zahl der Einleger zu erhöhen. Eine unserer einträglichsten Arten, Geld arbeiten zu lassen, ist die Vergabe von Darlehen gegen absolute Sicherheit. Während der letzten Jahre haben wir in dieser Richtung viel unternommen, und es gibt eine Anzahl vornehmer Familien, denen wir große Summen gegen Sicherung durch Bilder, Bibliotheken, Tafelgeschirr zukommen ließen.
Gestern morgen saß ich in meinem Büro, als einer der Angestellten mir eine Visitenkarte hereinbrachte. Ich zuckte zusammen, als ich den Namen las, denn es war niemand anderer… Nun, es ist vielleicht besser, wenn ich sogar Ihnen nur so viel sage, daß es ein Name war, den die ganze Welt kennt – einer der größten, vornehmsten, erhabensten von England: Ich war von der Ehre überwältigt und versucht, das auch zu sagen, aber mein Besucher kam sofort zum Geschäftlichen, wie jemand, der sich eilends einer widrigen Aufgabe entledigen möchte.
›Mr. Holden, sagte er, ›ich habe erfahren, daß Sie Geld verleihen.‹
›Die Firma tut das, wenn gute Sicherheiten vorhanden sind‹, antwortete ich.
›Es ist für mich von höchster Wichtigkeit‹, sagte er, ›daß ich sofort fünfzigtausend Pfund erhalte. Natürlich könnte ich eine so läppische Summe zehnmal bei meinen Freunden borgen, aber ich ziehe es vor, die Sache auf eine geschäftliche Grundlage zu stellen und das Geschäft selber durchzuführen. In meiner Position versteht man bald, daß es nicht klug ist, sich jemandem zu verpflichten.‹
›Für wie lange, wenn ich fragen darf, brauchen Sie die Summe?‹ erkundigte ich mich.
›Am nächsten Montag geht ein großer Betrag bei mir ein, und dann werde ich Ihnen höchstwahrscheinlich zurückzahlen, was Sie mir vorgeschossen haben, mit den Zinsen, die Sie für angemessen halten. Aber es ist äußerst wichtig, daß ich das Geld sofort erhalte.‹
›Ich wäre glücklich, könnte ich das Geld ohne weitere Verhandlungen aus meinem Privatvermögen zahlen, wenn ich damit nicht überfordert wäre. Schließe ich das Geschäft aber im Namen der Firma ab, muß ich um meiner Partner willen sogar in Ihrem Fall darauf bestehen, daß alle geschäftlichen Vorsichten gewahrt werden.‹
›So wäre es auch mir am liebsten‹, sagte er und nahm einen viereckigen Schmuckkasten, den er neben den Stuhl gelegt hatte.
›Sie haben zweifellos von der Beryll-Krone gehört?‹
›Eines der wertvollsten National-Besitztümer des Empire‹, sagte ich.
›Ganz recht.‹ Er öffnete den Kasten, und da lag auf weichem, fleischfarbenem Samt das herrliche Juwel, von dem er gesprochen hatte. ›Neununddreißig sehr große Berylle‹, sagte er, ›und der Wert der Goldfassung ist unschätzbar. Die niedrigste Schätzung würde den Wert der Krone mit dem Doppelten der Summe veranschlagen, um die ich gebeten habe. Ich bin bereit, sie Ihnen als Sicherheit für das Darlehen zu übergeben.‹
Ich nahm den Kasten mit dem kostbaren Inhalt in die Hand und blickte in ziemlicher Bestürzung zu meinem erlauchten Kunden auf.
›Zweifeln Sie den Wert an?‹ fragte er.
›Nicht im mindesten. Ich zweifle nur…‹
›Ob es schicklich ist, das Stück aus der Hand zu geben. Darüber können Sie sich beruhigen. So etwas fiele mir nicht im Traum ein, wenn ich nicht absolut gewiß wäre, es in vier Tagen zurückfordern zu können. Alles ist nur eine Formsache. Reicht Ihnen die Sicherheit?‹
›Völlig.‹
›Sie wissen, Mr. Holder, daß ich Ihnen hiermit einen tiefen Beweis des Vertrauens gebe, das ich, nach allem, was ich von Ihnen erfahren habe, in Sie setze. Ich bin nicht nur auf Ihre Diskretion angewiesen, damit kein Klatsch um die Sache entsteht, sondern
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