Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Kaffee, und ab ins Land der Geigen, wo alles Süße, Annehmlichkeit und Harmonie ist und wo es keine rothaarigen Klienten gibt, die uns mit ihren Rätseln verwirren.«
Mein Freund war ein enthusiastischer Musiker, nicht nur ein sehr befähigter Spieler, sondern auch ein Komponist von nicht alltäglichem Rang. Den ganzen Nachmittag saß er auf dem Platz im Parkett, in vollkommenes Glück gehüllt, und bewegte sanft seine langen dünnen Finger zum Takte der Musik, und sein gelöst lächelndes Gesicht mit den verschleierten, träumenden Augen sah dem des Spürhundes Holmes, des unbarmherzigen, scharfsinnigen, entschlossen handelnden Kriminalisten, sowenig ähnlich wie nur möglich. Sein eigentümlicher Charakter beherbergte zwei Seelen; seine übertriebene Genauigkeit und seine Schlauheit erschienen mir oft nur wie Reaktionen auf die poetische und kontemplative Stimmung, die gelegentlich in ihm die Oberhand gewann. Der Pendelschlag seiner Natur trug ihn von tiefster Schlaffheit in eine alles verschlingende Energie, doch er war – und das wußte ich gut – nie so gefährlich wie in den Momenten, da er sich, am Ende eines Tages im Lehnsessel lümmelnd, inmitten seiner altertümlichen Bücher Improvisationen hingab; dann konnte es geschehen, daß ihn plötzlich die Jagdlust überkam und sein brillanter Verstand sich in die Höhen der Intuition erhob, und diejenigen, welche mit seiner Methode nicht vertraut waren, betrachteten ihn dann wie jemanden, dessen Wissen das anderer Sterblicher übersteigt. Wie ich ihn an diesem Nachmittag in der St. James’ Hall ansah, fühlte ich: Über jene, die zu jagen er beschlossen hatte, würde eine böse Zeit hereinbrechen.
»Sie möchten sicherlich nach Hause gehen, Doktor«, bemerkte er, als wir uns erhoben.
»Ja, das wäre schon ganz gut.«
»Und ich habe etwas zu tun, das einige Stunden in Anspruch nehmen wird. Diese Angelegenheit vom Coburg Square ist ernst.«
»Inwiefern ernst?«
»Ein schweres Verbrechen wird vorbereitet. Ich habe allen Grund anzunehmen, daß wir zeitig genug kommen, es zu verhindern. Aber daß Samstag ist, macht die Sache kompliziert. Ich werde heute abend Ihre Hilfe brauchen.«
»Um welche Zeit?«
»Zehn Uhr wird früh genug sein.«
»Ich bin um zehn in der Baker Street.«
»Sehr gut. Doch ich sage Ihnen, Doktor, es könnte gefährlich werden; seien Sie so freundlich und stecken Sie Ihren Armeerevolver ein.«
Er winkte mir zu, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand augenblicklich in der Menge.
Ich vertraue darauf, daß ich nicht beschränkter bin als meine Mitmenschen, aber mich drückte immer das Gefühl meiner eigenen Dummheit, wenn ich mit Sherlock Holmes umging. Hier hatte ich gehört, was er gehört, hatte gesehen, was er gesehen, und doch war mir durch seine Worte klargeworden, daß er nicht nur deutlicher beobachtete, sondern auch sah, was geschehen würde, während mir die ganze Angelegenheit nur konfus und grotesk erschien.
Als ich zu meinem Haus in Kensington fuhr, dachte ich alles noch einmal durch, von der außergewöhnlichen Geschichte des rotschopfigen Abschreibers der Encyclopaedia Britannica bis zum Besuch des Saxe Coburg Square und den ominö sen Worten, mit denen Holmes sich verabschiedet hatte. Was bedeutete der nächtliche Ausflug, warum sollte ich mich bewaffnen? Wohin gingen wir überhaupt, und was stand uns bevor? Ich hatte Holmes’ Andeutung im Ohr, daß der glattgesichtige Gehilfe des Pfandleihers ein gefährlicher Mann sei, einer, der wahrscheinlich ein dunkles Spiel trieb. Ich versuchte, das alles zu entwirren, gab dann aber verzweifelt auf und schob es beiseite. Die Nacht würde eine Erklärung bringen.
Es war Viertel nach neun, als ich das Haus verließ. Ich ging durch den Park und die Oxford Street hinunter zur Baker Street. Zwei Hansoms warteten vor der Tür, und als ich im Hausflur stand, vernahm ich von oben Stimmen. Beim Betreten des Zimmers fand ich Holmes in angeregtem Gespräch mit zwei Männern, von denen ich einen als den Polizisten Peter Jones erkannte. Der andere war ein langer, hagerer Mann mit einem verdrießlichen Gesicht; er trug einen sehr glänzenden Hut und einen bedrückend respektabel aussehenden Gehrock.
»Ha, unsere Gesellschaft ist komplett«, sagte Holmes, knöpfte sein blaues Jackett zu und nahm die schwere Reitpeitsche vom Haken.
»Watson, ich glaube, Sie kennen Mr. Jones von Scotland Yard. Lassen Sie mich Ihnen Mr.
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