Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Ihr eigenes Einkommen aus dem Verkauf des Geschäfts?«
»O nein, Sir, das kommt woanders her, aus dem Erbe meines Onkels Ned aus Auckland. Es sind Neuseeland-Aktien, die viereinhalb Prozent bringen. Das Kapital beträgt zweitausendfünfhundert Pfund, ich kann aber nur über die Zinsen verfügen.«
»Sie interessieren mich außerordentlich«, sagte Holmes. »Da Sie eine so große Summe wie einhundert Pfund im Jahr beziehen und auch noch etwas dazuverdienen, reisen Sie sicherlich ein wenig und können sich in jeder Hinsicht verwöhnen. Ich glaube, eine alleinstehende Dame könnte sehr gut mit ungefähr sechzig Pfund im Jahr auskommen.«
»Ich käme mit viel weniger aus, Mr. Holmes, aber Sie verstehen, ich möchte niemandem zur Last fallen, und solange ich zu Hause lebe, haben sie den Nutzen von dem Geld. Aber natürlich gilt das nur unter dieser Bedingung. Mr. Windibank hebt jedes Vierteljahr meine Zinsen ab und händigt sie meiner Mutter aus; ich komme ganz gut zurecht mit dem, was ich durchs Maschineschreiben verdiene. Es bringt mir zwei Pence für die Seite, und ich kann oft fünfzehn bis zwanzig Seiten am Tag schreiben.«
»Nun haben Sie mir also Ihre Lage sehr deutlich gemacht. Der Herr hier ist mein Freund Dr. Watson, vor ihm können Sie so offen sprechen wie vor mir. Seien Sie nun so freundlich, uns alles über Ihre Verbindung mit Mr. Hosmer Angel zu erzählen.«
Über Miss Sutherlands Gesicht stahl sich eine Röte, und sie nestelte nervös am Saum ihrer Jakke.
»Ich habe ihn auf dem Ball der Gasinstallateure kennengelernt«, sagte sie. »Als mein Vater noch lebte, schickte man ihm immer Eintrittskarten, auch später erinnerte man sich an uns und schickte meiner Mutter die Karten. Mr. Windibank wollte nicht, daß wir hingingen. Er will nie, daß wir irgendwo hingehen. Er wird richtiggehend verrückt, wenn ich auch nur eine Sonntagsschulstunde besuchen will. Aber dieses Mal war ich entschlossen, und ich ging, denn was für ein Recht hatte er, mich davon abzuhalten? Er sagte, die Leute paßten nicht zu uns, da doch Vaters sämtliche Freunde dort wären. Und er sagte, ich hätte nichts Anständiges anzuziehen, aber ich besitze doch ein rotsamtenes Kleid, das ich noch nie aus dem Schrank geholt hatte. Schließlich, als nichts fruchtete, brach er zu einer Geschäftsreise nach Frankreich auf, aber wir, meine Mutter und ich, besuchten zusammen mit Mr. Hardy, unserem ehemaligen Altgesellen, den Ball. Und dort begegnete ich Mr. Hosmer Angel.«
»Ich nehme an, Mr. Windibank war sehr ärgerlich, als er aus Frankreich zurückkam und erfuhr, daß Sie den Ball besucht hatten.«
»Ach, er war ganz freundlich. Ich weiß noch, wie er lachte, die Schultern zuckte und sagte, es sei zwecklos, einer Frau etwas zu verweigern, denn sie täte doch, was sie wollte.«
»Ich verstehe. Also auf dem Ball der Gasinstallateure haben Sie die Bekanntschaft eines Herrn mit Namen Hosmer Angel gemacht.«
»Ja, Sir. Ich machte an diesem Abend seine Bekanntschaft, und er sprach am nächsten Tag vor, um sich zu erkundigen, ob wir gut nach Hause gekommen seien, und danach trafen wir ihn – vielmehr, Mr. Holmes, ich traf mich mit ihm – zweimal zu einem Spaziergang. Aber dann kehrte mein Vater zurück, und Mr. Hosmer Angel konnte nicht mehr zu uns nach Hause kommen.«
»Nicht mehr?«
»Mein Vater, wissen Sie, mag so etwas nicht. Er will keine Besucher, wenn es sich vermeiden läßt, und er sagt immer, eine Frau soll in ihrer Familie glücklich werden. Aber ich habe stets zu meiner Mutter gesagt, daß eine Frau erst einmal ihren eignen Kreis haben müsse, und ich hatte doch noch keinen.«
»Aber was war mit Mr. Hosmer Angel? Machte er keinen Versuch, Sie wiederzusehen?«
»Nun, mein Vater fuhr eine Woche später wieder nach Frankreich, und Hosmer hatte mir geschrieben, es wäre sicherer und besser, wenn wir uns vor der Abreise meines Vaters nicht träfen. In der Zwischenzeit könnten wir miteinander korrespondieren, und er schrieb auch jeden Tag. Ich fing jeden Morgen den Briefträger ab, denn es war nicht nötig, daß mein Vater davon wußte.«
»Waren Sie damals schon mit dem Herrn verlobt?«
»Ja, Mr. Holmes. Wir sind seit unserem ersten Spaziergang verlobt. Hosmer – Mr. Angel – ist Kassierer in der Leadenhall Street und…«
»Bei welcher Firma?«
»Das ist das Schlimmste, Mr. Holmes: ich weiß es nicht.«
»Wo wohnt er denn?«
»Er hat ein
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