Die Abenteuer des Sherlock Holmes
und Unwahrscheinlichkeiten die ganze Sache doch war! Über Lestrades Meinung war ich nicht verwundert, und doch hatte ich so viel Vertrauen zu Sherlock Holmes’ Scharfsinn, daß ich nicht bereit war, die Hoffnung aufzugeben, solange jede neu ans Licht kommende Tatsache seine Überzeugung, daß der junge McCarthy unschuldig sei, zu stärken schien.
Es wurde spät, ehe Sherlock Holmes zurückkehrte. Er kam allein, denn Lestrade hatte in der Stadt Quartier genommen.
»Das Barometer ist noch immer sehr hoch«, bemerkte er, als er sich niederließ. »Es ist wichtig, daß es nicht regnet, bevor wir uns den Boden haben ansehen können. Andererseits sollte man in bester Verfassung und besonders wach sein, wenn es um eine so hübsche Arbeit geht, und ich wollte nicht damit anfangen, solange ich noch erschöpft bin von einer langen Reise. Ich habe mit dem jungen McCarthy gesprochen.«
»Und was haben Sie von ihm erfahren?«
»Nichts.«
»Konnte er kein Licht in die Sache bringen?«
»Überhaupt gar keines. Eine Weile neigte ich zu der Annahme, daß er weiß, wer es getan hat, und nun ihn oder sie decken will, aber inzwischen bin ich davon überzeugt, daß er genauso im dunkeln tappt wie alle anderen. Er ist nicht übermäßig gescheit, sieht aber gut aus und hat, glaube ich, ein gutes Herz.«
»Seinen Geschmack kann ich aber nicht bewundern«, bemerkte ich, »wenn es tatsächlich stimmt, daß er eine so charmante junge Dame wie diese Miss Turner nicht heiraten will.«
»Ah, daran hängt eine sehr schmerzliche Geschichte! Dieser Junge ist bis über beide Ohren und den Verstand in sie verliebt, aber vor zwei Jahren, als er noch ein halbes Kind war, und bevor er sie wirklich kannte – sie war nämlich fünf Jahre lang in einem Internat gewesen –, was macht der Trottel da? Er fällt einem Barmädchen in Bristol in die Klauen und heiratet sie standesamtlich. Niemand weiß auch nur das Geringste davon, aber Sie können sich wohl vorstellen, wie rasend es ihn machen muß, daß man ihm vorwirft, etwas nicht zu tun, wofür er alles gäbe, wenn er es tun könnte, wovon er aber weiß, daß es völlig unmöglich ist. Es war nichts als ein Anfall dieser Art, daß er die Hände in die Luft warf, als sein Vater ihn bei ihrem letzten Gespräch wieder anstacheln wollte, Miss Turner einen Antrag zu machen. Andererseits konnte er nicht für seinen eigenen Unterhalt aufkommen, und sein Vater, der, nach allem, was man hört, ein sehr harter Mann gewesen sein muß, hätte ihn zweifellos verstoßen, wenn er die Wahrheit gewußt hätte. Die letzten drei Tage in Bristol hat er mit dieser Barmädchen-Gattin verbracht, und sein Vater wußte nicht, wo er war. Beachten Sie diesen Punkt; er ist wichtig. Trotzdem ist aus all dem Schlechten Gutes erwachsen; das Barmädchen hat den Zeitungen entnommen, daß er in ernsten Schwierigkeiten steckt und wahrscheinlich gehängt wird, deshalb hat sie sich völlig von ihm losgesagt und ihm geschrieben, daß sie in der Bermuda-Werft schon einen Ehemann hat, so daß zwischen ihnen in Wahrheit gar kein Band besteht. Ich glaube, daß diese Neuigkeit den jungen McCarthy bei allem Erlittenen ein wenig getröstet hat.«
»Wenn er aber unschuldig ist, wer hat es dann getan?«
»Ah! Wer? Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit besonders auf zwei Punkte lenken. Der erste ist, daß der Ermordete am Pool mit jemandem verabredet war und daß dieser Jemand nicht sein Sohn gewesen sein kann, denn der Sohn war abwesend, und der Vater wußte nicht, wann er zurückkommen würde. Der zweite Punkt ist, daß man den Ermordeten ›Cooee!‹ hat rufen hören, bevor er wußte, daß sein Sohn heimgekommen war. Dies sind die entscheidenden Punkte, von denen der ganze Fall abhängt. Aber jetzt wollen wir lieber über George Meredith 19 reden, wenn Sie mögen, und kleinere Fragen bis morgen ruhen lassen.«
Wie Holmes vorhergesagt hatte, regnete es nicht, und der Morgen brach hell und wolkenlos an. Um neun Uhr holte Lestrade uns mit dem Wagen ab, und wir machten uns auf den Weg nach Hatherley Farm und Boscombe Pool.
»Es gibt heute morgen schlechte Neuigkeiten«, bemerkte Lestrade. »Es heißt, daß Mr. Turner vom Herrenhaus so krank ist, daß man ihn aufgegeben hat.«
»Ich nehme an, er ist ein älterer Mann?« sagte Holmes.
»Um die sechzig, aber sein Leben in der Fremde hat seine Konstitution ruiniert, und er war schon seit einiger Zeit bei immer schlechterer Gesundheit. Diese Geschichte hat ihn übel mitgenommen. Er war ein alter
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