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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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unbezwingbarer Koloss, ein vollkommenes Geschöpf.
    Tensing und Dil Bahadur saßen da im Lotossitz, die geöffneten Hände auf den Knien, und sahen, wie der Tiger immer näher kam. Beide wussten, falls er hungrig war, würden sie kaum eine Chance haben. Aber vielleicht hatte er ja schon gefressen, obwohl er hier oben in dieser Einöde wahrscheinlich nicht sehr oft Beute machen konnte. Tensing besaß außerordentliche übersinnliche Macht,denn er war ein Tulku, die Wiedergeburt eines großen Lamas aus alten Zeiten. Jetzt konzentrierte er sich darauf, all seine Kraft wie in einem Blitz zu bündeln und in den Geist der Raubkatze vorzustoßen.
    Aus den Lefzen des Tigers wehte ihnen sein heißer, stinkender Atem ins Gesicht. Noch einmal erbebte die Klosterruine unter dem fürchterlichen Brüllen. Der Tiger war jetzt nur noch wenige Zentimeter von ihnen entfernt, und seine harten Schnurrhaare stachen ihnen in die Haut. Es kam ihnen vor, als schliche er endlos lange um sie herum, er schnüffelte und schubste sie mit seinen riesigen Tatzen, aber er griff nicht an. Der Meister und sein Schüler verharrten vollkommen still, offen und achtsam. Der Tiger empfing keine Signale von Furcht oder Feindseligkeit, und als er seine Neugier schließlich befriedigt hatte, zog er sich mit der gleichen feierlichen Würde zurück, mit der er aufgetaucht war.
    »Siehst du, Dil Bahadur, manchmal ist Ruhe doch zu etwas gut …«, war alles, was der Lama dazu sagte. Der Prinz brachte keine Antwort heraus, seine Stimme blieb ihm im Hals stecken.
    Trotz dieses unvorhergesehenen Besuchs entschieden sie, die Nacht im Chenthan Dzong zu bleiben, ließen allerdings vorsichtshalber das Feuer brennen und suchten sich unter den zurückgelassenen Waffen einige Lanzen aus, die sie sich zur Verteidigung in Reichweite legten. Der Tiger kam nicht zurück, aber als sie am nächsten Morgen aufbrachen, sahen sie seine Spuren im glitzernden Schnee und hörten weit entfernt sein Brüllen, das an den Berghängen widerhallte.
    ~
    Wenige Tage später stieß Tensing plötzlich einen Freudenschrei aus und deutete auf einen schmalen Einschnitt in der Bergwand vor ihnen. Schwarz ragte der Fels zu beiden Seiten in die Höhe, durch Jahrmillionen von Stürmen und Eis blank poliert. Ganz vorsichtig tasteten sie sich dort hinein, denn unter ihren Schritten löste sich Geröll, und hier und da klafften tiefe Löcher im Boden. Bevor sie irgendwo hintraten, mussten sie den Untergrund mit ihren Stäben prüfen.
    Tensing warf einen Stein in eines der Löcher, und sie warteten lange, hörten ihn aber nicht aufschlagen. Der Himmel über ihnen war nur noch ein blaues Band zwischen den glänzenden Felsen. Ein grausiges, vielstimmiges Wimmern drang ihnen entgegen.
    »Gut, dass wir nicht an Gespenster und Dämonen glauben, was?«, sagte der Lama augenzwinkernd.
    »Wollt Ihr damit sagen, ich bilde mir dieses Stöhnen nur ein?« Dil Bahadur hatte Gänsehaut.
    »Vielleicht ist es der Wind, der hier durchfegt, so ähnlich wie wenn man ein Langhorn bläst.«
    Sie waren ein gutes Stück vorangekommen, da roch es mit einem Mal widerlich nach faulen Eiern.
    »Schwefel«, sagte der Meister.
    »Ich kriege keine Luft.« Dil Bahadur hielt sich die Nase zu.
    »Vielleicht sollten wir uns vorstellen, es wäre Blumenduft.«
    »Von allen Düften ist der Duft der Tugend der köstlichste«, gluckste der Prinz.
    »Stell dir also vor, dies sei der köstliche Duft der Tugend.« Jetzt lachte auch der Lama.
    Der Durchgang war nur etwa eine Meile lang, aber sie brauchten zwei Stunden, bis sie ihn hinter sich hatten. An manchen Stellen traten die Felswände so dicht zusammen, dass sie sich seitlich hindurchzwängen mussten, aber obwohl ihnen von der verpesteten Luft schwindlig war, dachten sie keinen Augenblick an Umkehr, denn das Pergament ließ keinen Zweifel daran, dass es einen Ausgang geben musste. Sie sahen Nischen in den Wänden, in denen riesige Schädel und Knochen aufgeschichtet waren, von denen manche aussahen, als stammten sie von Menschen.
    »Der Friedhof der Yetis …«, flüsterte Dil Bahadur.
    Unverhofft blies ihnen eine feuchtheiße Böe ins Gesicht und kündigte den Ausgang der Schlucht an.
    Tensing ging voraus, dicht gefolgt von seinem Schüler. Als Dil Bahadur die Landschaft sah, die sich vor ihnen auftat, glaubte er sich auf einem anderen Planeten. Hätte er nicht so deutlich seine müden Glieder und seinen von dem Schwefelgestank durcheinander gebrachten Magen gespürt, er hätte geglaubt,

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