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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Ruhe wie ein Tier im Winterschlaf. Genauso mühelos schüttelte er diesen Zustand wieder ab, konnte, wenn nötig, von einer Sekunde auf die andere wie ein Pfeil hochschnellen und war auf der Stelle hellwach. Jahrelang hatte Dil Bahadur vergeblich versucht, ihm das nachzumachen. Jetzt überließ er sich der Erschöpfung und schlief, kaum dass sein Kopf die Erde berührte.
    Der Prinz schrak hoch, weil um ihn her plötzlich ein fürchterliches Grunzen war. Er schlug die Augen auf, sah, wer sie da umringte, und war im gleichen Augenblick mit abwehrbereit nach vorne gestreckten Armen in die Hocke gesprungen. Er wollte sich eben mit Hieben Platz verschaffen, da ließ ihn die ruhige Stimme seines Meisters mitten in der Bewegung erstarren:
    »Ruhig. Das sind die Yetis. Sei offen und achtsam wie bei dem Tiger.«
    Um sie her drängelte sich eine Horde abstoßender Kreaturen, ungefähr einsfünfzig groß und ganz von schmutzig weißen, verfilzten Zotteln bedeckt, mit Armen, die fast auf dem Boden schleiften, und kurzen, krummen Beinen, die in ausladenden Affenfüßen endeten. Von wegen Riesen, dachte Dil Bahadur. Aber wenn nur die Füße so groß waren, zu wem gehörten dann diese langen Knochen und mächtigen Schädel in der Schlucht?
    Ihr kleiner Wuchs änderte auch nicht viel, sie sahen einfach zum Fürchten aus. Die behaarten, plattnasigen Gesichter hatten fast etwas Menschliches, aber der Ausdruck darin war der von wilden Tieren; die kleinen Augen waren gerötet, die Ohren gespitzt wie bei beißwütigen Hunden und die Zähne lang und messerscharf. Jedes Mal, wenn sie zu einem neuen Grunzen ansetzten, schnellten kurz ihre Zungen nach vorne, die an der Spitze eingerollt waren wie bei Echsen und dunkelviolett glänzten. Vor der Brust trugen sie einen Lederschurz, der im Nacken und um die Hüften vonRiemen gehalten wurde und von getrockneten Blutflecken starrte. Sie drohten mit Keulen und Faustkeilen, blieben aber trotz dieser Waffen und ihrer deutlichen Überzahl argwöhnisch außer Reichweite. Es dämmerte, und im ersten Morgenlicht, das durch den zähen Nebel drang, wirkte die Szenerie noch gespenstischer.
    Sehr bedächtig, um seine Gegner nicht zu reizen, richtete sich Tensing zu seiner vollen Größe auf. Neben diesem baumlangen Mönch sahen die Yetis recht verkümmert aus. Die Aura des Meisters funkelte unverändert weiß und golden, ein Zeichen vollkommener Gelassenheit, während sie bei den meisten dieser Geschöpfe glanzlos war, in Erdfarben flirrte, ein Hinweis auf Krankheit und Angst.
    Der Prinz erriet, warum sie nicht angriffen: Sie warteten auf jemanden. Und tatsächlich sah er kurze Zeit später eine Gestalt auf die Gruppe zukommen, die zwar vom Alter gebeugt, jedoch deutlich größer war als die anderen. Obwohl auch sie ein Yeti war, hätte sie aufrecht die Übrigen um zwei Kopf überragt und wäre so groß wie Tensing gewesen. Aber ihr Alter und ein mächtiger Buckel zwangen sie, den Oberkörper waagerecht zu halten und sich auf einen knotigen Stock zu stützen. Während die anderen nur den Lederschurz über ihren schmutzigen Zotteln trugen, hingen dieser Kreatur Ketten aus Zähnen und Knochen um den Hals und ein abgeschabtes Tigerfell über den Schultern.
    Keiner hätte sie eine Frau genannt, aber sie war eindeutig weiblich; sie war zwar kein Mensch, aber ein richtiges Tier war sie auch nicht. Ihr Pelz war räudig, an manchen Stellen fehlten ganze Büschel, und dort kam die blanke Haut zum Vorschein, so schuppig und rosa wie ein Rattenschwanz. Alles an ihr war von einer dicken Kruste aus Fett, geronnenem Blut, Schlamm und Grind überzogen, und sie stank erbärmlich. Ihre Fingernägel waren schwarze Klauen, und die wenigen Zähne hingen ihr lose im Maul und tanzten bei jedem Atemzug. Aus ihrer Nase troff ein grüner Rotzfaden. Schleimig schwammen die Augen zwischen den Borsten in ihrem Gesicht. Als sie zu der Gruppe trat, wichen die Yetis ehrerbietig zur Seite; es war nicht zu übersehen, dass sie hier das Kommando führte, sie musste so etwas wie die Königin oder die Hohepriesterin der Horde sein.
    Mit großen Augen beobachtete Dil Bahadur, wie sein Meister vor dieser Schauergestalt auf die Knie ging, die Hände vor dem Gesicht faltete und sie mit der im Verbotenen Reich gebräuchlichen Formel begrüßte: Das Glück möge mit Euch sein.
    »Tampo kachi«, sagte er.
    »Grr-ympr«, knurrte sie und besprenkelte ihn dabei mit Spucke.
    Kniend war Tensing mit der gebeugten Greisin auf einer Höhe, so dass sie

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