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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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einen der Seitenflügel, zu dem die Hotelgäste keinen Zutritt hatten. Nachmittags konnte man die Familie unten im Salon antreffen, wo sie mit den Touristen den Tee zu nehmen pflegte.
    Das Zimmer, das sich Alex mit den Fotografen teilte, war mit Prunk überladen. Im Bad fanden sie eine gekachelte Wanne von den Ausmaßen eines Schwimmbeckens und ein Wandbild mit der Szene einer Tigerjagd: Die mit Büchsen bewaffneten Jäger ritten auf Elefanten, umringt von ihrem Gefolge aus Dienern zu Fuß, die Lanzen oder Pfeil und Boden schwangen. Das Zimmer befand sich im obersten Stockwerk des Hotels, und vom Balkon aus hatte man einen Blick über die wundervolle Gartenanlage, die von der Straße durch eine hohe Mauer getrennt war.
    »Die Leute, die dort unten kampieren, werden auf der Straße geboren, sie verbringen ihr ganzes Leben auf der Straße und sterben auf der Straße. Außer den Kleidern, die sie am Leib tragen, und ein paar Kochtöpfen besitzen sie nichts. Es sind die Unberührbaren, die Ärmsten der Armen«, sagte Timothy Bruce, der neben Alex an die Brüstung getreten war, und deutete auf die Behausungen aus Lumpen am Straßenrand, auf der anderen Seite der Mauer.
    Alex spürte, dass Zorn und Abscheu in ihm hochkochten, wie er da auf dem Balkon dieses protzigen Hotels stand und auf all das Elend hinuntersah. Später traf er Nadia und dachte, ihr müsse es ähnlich gehen, aber sie verstand gar nicht, was er meinte. Sie selbst besaß nur das Lebensnotwendige und fühlte sich von dem Prunk des Palastes wie erschlagen.
    »Ich glaube, draußen bei den Unberührbaren würde ich mich wohler fühlen als hier drinnen mit all diesen Sachen, Jaguar. Mir ist übel. Hier gibt es nicht ein einziges Stück nackte Wand, nirgends kann man die Augen ausruhen. Zu viel Luxus. Ich ersticke. Und was katzbuckeln diese Prinzen hier dauernd um uns herum?« Sie nickte in Richtung der Männer mit den Brokatuniformen und den federverzierten Turbanen.
    »Das sind doch keine Prinzen, Aguila«, gluckste Alex. »Das sind die Hotelangestellten.«
    »Sag ihnen, sie sollen weggehen, wir brauchen sie nicht.«
    »Das ist ihr Job. Wenn ich sie wegschicke, sind sie beleidigt. Du wirst dich schon dran gewöhnen.«
    Alex ging mit Nadia wieder auf den Balkon, um noch einmal die in Lumpen gehüllten Unberührbaren zu sehen. Aber er hielt es nicht lange aus, nahm welche von seinen wenigen Dollars, verließ das Zimmer, wechselte die Scheine an der Rezeption gegen Rupien und wollte die Münzen draußen verteilen. Nadia war auf dem Balkon geblieben und folgte ihm mit dem Blick. Sie sah ihn durch den Garten auf die Hotelmauer und die Masse der Armen dahinter zugehen. Sie sah, wie er das schmiedeeiserne, bewachte Tor hinter sich ließ, wie er sich unter die Leute mischte und einigen Kindern, die auf ihn zukamen, Münzen in die Hand drückte. Im nächsten Moment war er umringt von einer Traube zerlumpter Gestalten. Die Nachricht, dass da ein Ausländer Geldverschenkte, musste sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, denn von allen Seiten drängten jetzt mehr und mehr Leute auf ihn zu wie eine unaufhaltsame Lawine aus Leibern.
    Als Nadia begriff, dass es eine Frage von Minuten sein würde, bis Alex von den Menschenmassen zu Boden getrampelt war, rannte sie die Treppe hinunter und durch den Garten und schrie aus Leibeskräften um Hilfe. Hotelgäste und Angestellte stürzten auf sie zu, fielen in ihr Rufen ein und stifteten nur noch mehr Verwirrung. Alle brüllten durcheinander, was jetzt zu tun sei, während die Sekunden dahinrasten. Es musste unverzüglich etwas geschehen, aber keiner schien zu wissen, was er machen sollte. Dann plötzlich war Tex Gürteltier da, und sofort kam Bewegung in die Sache.
    »Schnell! Mir nach!«, befahl er den bewaffneten Torwächtern.
    Er führte sie entschlossen mitten hinein in die brodelnde Menschenmasse auf der Straße, bahnte sich selbst mit den Fäusten einen Weg, während die Wachen mit ihren Gewehrkolben um sich schlugen. Tex Gürteltier riss einem von ihnen die Waffe aus der Hand und feuerte zwei Schüsse in die Luft. Um ihn herum stockten die Leute mitten in der Bewegung, aber von hinten schoben immer noch mehr Menschen nach.
    Tex Gürteltier nutzte die kurze Verwirrung, um sich bis zu Alexander vorzukämpfen, der sich schon mit zerfetzten Kleidern am Boden krümmte. Er angelte sich Alexanders Brille, die wie durch ein Wunder unversehrt neben ihm lag, packte ihn unter den Achseln und zerrte ihn mit Hilfe der Wachen zurück in

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