Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
so aus, als hätte sie feine rote Spitzenhandschuhe an, und würde ungefähr drei oder vier Wochen halten. Borobá hockte wie immer auf ihrer Schulter oder klammerte sich an ihre Hüfte, erregte aber keinerlei Aufsehen, denn anders als in New York waren Affen hier ein alltäglicherer Anblick als Hunde.
    Auf einem Platz saßen zwei Schlangenbeschwörer im Schneidersitz und spielten auf ihren Flöten. Die Kobras stiegen aus ihren Körben und folgten wie sich windende schwarze Stöcke den Bewegungen der Flöten. Als Borobá das sah, kreischte er, sprang von Nadias Schulter und brachte sich schleunigst auf einer Palme in Sicherheit. Nadia ging auf die Schlangenbeschwörer zu und wisperte etwas. Plötzlich drehten sich die Schlangenköpfe zu ihr um, und die gespalteten Zungen zischelten heraus. Vier Pupillenschlitze bohrten ihren Blick wie Messer in Nadia.
    Bevor irgendwer begreifen konnte, was vorging, waren die Kobras aus ihren Körben geglitten und schlängelten auf Nadia zu. Ein Aufschrei ging durch die Menge, und die Umstehenden stoben auseinander. Von einem Augenblick auf den anderen war der Platz wie leergefegt, nur Alex und seine Großmutter hatten sich, gelähmt vor Schreck, nicht von der Stelle bewegt. Die Schlangenbeschwörer versuchten verzweifelt, die Tiere mit ihren Flöten zurückzulocken, trauten sich jedoch nicht nahe heran. Nadia stand völlig gelassen da und sah ziemlich erheitert aus. Sie rührte sich auch keinen Millimeter von der Stelle, als sich die Kobras unablässig zischelnd ihre Beine hinaufwanden, sich um ihre schmale Taille ringelten, ihren Hals und schließlich ihr Gesicht erreichten.
    In kalten Schweiß gebadet, hatte Kate zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Ihre Beine knickten unter ihr weg, sie sackte käseweiß im Gesicht und mit verdrehten Augen auf den Boden und konnte keinen Ton herausbringen. Als Alex sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, wusste er sofort, dass er sich nicht bewegen durfte. Seine Freundin hatte ihm oft gezeigt, dass sie magische Fähigkeiten besaß; bei ihr zu Hause hatte er einmal gesehen, wie sie eine Surucucú, eine der gefährlichsten Giftschlangen der Welt, mit der bloßen Hand gepackt und weit weggeschleudert hatte. Solange keiner etwas Unbedachtes tat und die Kobras aufscheuchte, würde Aguila nichts zustoßen.
    Es vergingen mehrere Minuten, bis Nadia schließlich in ihrer Waldsprache einen Befehl gab und die Schlangen an ihr hinab und zurück in ihre Körbe glitten. Sofort warfen die Schlangenbeschwörer die Deckel darüber, rafften alles zusammen und rannten weg, denn diese Ausländerin mit den Federn im Haar konnte doch nur ein Dämon sein.
    Nadia rief Borobá zu sich, und als der wieder auf ihrer Schulter hockte, schlenderte sie in aller Seelenruhe weiter über den Platz. Alex ging wortlos hinter ihr her und fand es urkomisch, dass seine unerschrockene Großmutter zumindest dies eine Mal restlos die Fassung verloren hatte.

SECHSTES KAPITEL
Die Skorpionsekte
    An ihrem letzten Tag in Neu-Delhi brauchte Kate mehrere Stunden, um in einem Reisebüro die letzten Formalitäten zu klären und der Gruppe einen Platz in der Maschine zu sichern, die nur einmal wöchentlich ins Reich des Goldenen Drachen flog. Nicht dass starker Andrang nach Plätzen geherrscht hätte, das Flugzeug war nur winzig klein. Während sie also diese Angelegenheiten erledigte, erlaubte sie Nadia und Alexander, sich allein das Rote Fort anzusehen, das nicht weit vom Hotel entfernt war.
    »Ihr trennt euch auf gar keinen Fall, und dass ihr mir vor Sonnenuntergang wieder im Hotel seid!«, hatte Kate gesagt.
    Bis zu seiner Unabhängigkeit 1949 war Indien britische Kolonie gewesen und hatte mit seinen Reichtümern an Gewürzen, Stoffen und Tee als das kostbarste Juwel der britischen Krone gegolten. Damals war das Rote Fort von den englischen Truppen als Stützpunkt genutzt worden. Danach stand es leer. Für die Touristen war nur ein kleiner Teil dieser monumentalen Festungsanlage geöffnet. Kaum jemand wusste etwas von ihren Eingeweiden, einem wahren Labyrinth aus unterirdischen Gängen und verborgenen Kammern, das sich wie die Tentakel eines Tintenfischs unter der Stadt erstreckte.
    Nadia und Alex mischten sich unter eine Gruppe von Touristen, denen ein Fremdenführer auf Englisch erklärte, was es zu sehen gab. Bis ins Innere des Forts drang die schwüle Mittagshitze nicht vor; hier war es kühl, und die Feuchtigkeit der Jahrhunderte hatte grüne Algenflecken

Weitere Kostenlose Bücher