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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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mit sich. Alex, der es von daheim gewöhnt war, dass die Menschen einen Mindestabstand von zwanzig Zoll untereinander einhielten, fühlte sich von dem Gewühl angegriffen. Ihm blieb die Luft weg. Plötzlich war Nadia verschwunden, von der Menge geschluckt, und da wurde er panisch. Er brüllte aus vollem Hals nach ihr, wand sich hier hin und dort hin, um die Hände loszuwerden, die an seinen Kleidern zerrten, bis er nach endlosen angsterfüllten Minuten schließlich in einiger Entfernung die bunten Federn erspähte, die in Nadias Pferdeschwanz steckten. Mit den Ellbogen bahnte er sich einen Weg zu ihr, packte sie an der Hand und zog sie hinter seiner Großmutter und den Fotografen her, die bereits entschlossen den Taxis zustrebten, ungerührt, denn sie waren schon öfter in Indien gewesen und mittlerweile routiniert.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie ihr Gepäck gegen dieLeute verteidigt, es durchgezählt und in zwei Taxis verstaut hatten, die sich auf der linken Spur wie in England einen Weg durch die überfüllten Straßen in Richtung Hotel bahnten. Alle erdenklichen Vehikel fuhren hier im größten Durcheinander, ohne auf die dünn gesäten Ampeln oder die Anweisungen der Verkehrspolizisten zu achten: Autos, schrottreife, mit religiösen Motiven bemalte Busse, Mopeds, auf denen vier Leute hinter- und übereinander saßen, Ochsenkarren, von Menschen gezogene Rikschas, Fahrräder, offene Lastwagen voller Schulkinder und sogar ein friedlicher, für ein Fest geschmückter Elefant.
    Vierzig Minuten hingen sie in einem Stau fest, weil eine tote Kuh mitten auf der Straße lag, umringt von hungrigen Hunden und schwarzen Riesenvögeln, die auf das verwesende Fleisch einhackten. Kate erklärte ihnen, dass die Kühe hier heilig waren und niemand sie verjagte, deshalb konnte man sie überall in den Straßen sehen. Allerdings gab es bei der Polizei einen Sondertrupp, der sie aus der Stadt hinaustrieb und die Kadaver wegschaffte.
    Die schwitzenden und nicht aus der Ruhe zu bringenden Fußgängermassen trugen ihr Teil zu dem Chaos bei. Ein splitterfasernackter Sadhu, ein hinduistischer Asket, dem die verfilzten Haare bis zu den Fersen reichten, überquerte in Begleitung einer Gruppe blumenstreuender Frauen im Schneckentempo die Straße, ohne dass irgendwer diesen kleinen Umzug eines Blickes würdigte. Offensichtlich kam so etwas hier andauernd vor.
    Nadia, die in einem Ort aus zwanzig Hütten mitten im dünn besiedelten Regenwald aufgewachsen war, wusste nicht, ob sie zu Tode erschrocken oder fasziniert sein sollte. Verglichen mit dem hier war New York ein verschlafenes Nest. Sie hätte nie gedacht, dass es so viele Menschen auf der Welt gab. Unterdessen hatte Alex alle Hände voll damit zu tun, die Leute abzuwehren, die ihre Waren durch das Taxifenster streckten und um Almosen bettelten, und wollte um keinen Preis die Scheibe hochkurbeln, denn die Luft war auch so schon zum Schneiden.
    Endlich erreichten sie das Hotel. Kaum hatten sie das von bewaffneten Wachen flankierte Tor passiert, fanden sie sich mitten in einem Paradiesgarten wieder, in dem vollkommener Frieden zu herrschen schien. Der Straßenlärm war wie durch Zaubereidraußen geblieben, man hörte nur das Zwitschern von Vögeln und das Plätschern unzähliger Springbrunnen. Über die Rasenflächen stolzierten Pfaue und zogen ihre juwelenbesetzten Federschleppen hinter sich her. Etliche Diener, die in goldbestickten Uniformen aus Brokat und Samt steckten und hohe mit Fasanenfedern geschmückte Turbane trugen, mit denen sie aussahen, als wären sie geradewegs den Illustrationen eines orientalischen Märchens entstiegen, nahmen sich des Gepäcks an und begleiteten die neuen Gäste nach drinnen.
    ~
    Das Hotel war ein reich verzierter Marmorpalast, der wirkte wie aus weißem Klöppelzeug. Die Fußböden waren mit ausladenden Seidenteppichen bedeckt; in die edlen Holzmöbel waren Intarsien aus Silber, Perlmutt und Elfenbein eingelassen; auf den Tischen standen Porzellanvasen, die von duftenden Blumen überquollen. Überall wucherten tropische Gewächse in großen Schalen aus getriebenem Kupfer, und in kompliziert verschachtelten Käfigen sangen bunt gefiederte Vögel. Einst war der Palast die Residenz eines Maharadschas gewesen, aber der hatte nach der Unabhängigkeit Indiens seinen Einfluss und große Teile seines Vermögens verloren und das Gebäude schließlich an ein nordamerikanisches Hotelunternehmen verpachtet. Die Familie des Maharadschas bewohnte noch immer

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