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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Beinen, und aus den entlegensten Bergdörfern trafen Bauern in der Hauptstadt ein, die seit Tagen zu Fuß oder zu Pferd unterwegs gewesen waren. Nachdem die Lamas ihren Segen gesprochen hatten, zogen Musikanten mit ihren Instrumenten durch die Straßen, und Köchinnen bauten lange Tische mit Essen, Süßigkeiten und Krügen voller Reisschnaps im Freien auf. Heute war alles kostenlos.
    Schon seit dem frühen Morgen hallten die Hörner, Trommeln und Gongs aus den Klöstern durchs Tal. Die Gläubigen aus Tunkhala und die angereisten Pilger scharten sich in den Tempeln, um ihre Opfergaben darzubringen, die Gebetsmühlen zu drehen und Kerzen aus Yakbutter anzuzünden. Über der Stadt lag ein Geruch von ranzigem Fett und Weihrauch.
    Vor der Reise hatte Alex in der Schulbibliothek Bücher gewälzt, um möglichst viel über das Verbotene Reich, seine Sitten und seine Religion herauszufinden. Da es in Santa María de la Lluvia keine Bibliothek gab und Nadia nur sehr wenig über Buddhismus wusste, lieferte ihr Alex eine kurze Zusammenfassung.
    »Dort, wo heute der Süden Nepals ist, ist 566 vor Christus ein Prinz mit Namen Siddharta Gautama auf die Welt gekommen. Bei seiner Geburt wurde dem Kind von einem Seher prophezeit, es werde einmal über die ganze Erde herrschen, wenn man Zerstörung und Tod von ihm fern hielte. Wenn nicht, werde es zu einem großen spirituellen Meister werden. Seinem Vater wäre der Herrscher allerdings lieber gewesen, deshalb ließ er eine hohe Mauer um den Palast bauen, damit Siddharta ein Leben im Überfluss,voller Freude und Schönheit führen konnte und niemals Leid zu Gesicht bekam. Sogar das Herbstlaub haben sie sofort weggerecht, weil er nicht sehen sollte, wie es vermodert. Siddharta hat als junger Mann geheiratet und hatte einen Sohn, ohne dass er jemals aus dem Palast herausgekommen wäre. Aber mit neunundzwanzig Jahren hat er den ummauerten Garten verlassen und ist zum ersten Mal in seinem Leben kranken Menschen, Armut, Schmerz und Grausamkeit begegnet. Da hat er sich die Haare abgeschnitten, hat seine Juwelen und seine seidenen Gewänder abgelegt und sich auf die Suche nach der Wahrheit gemacht. Sechs Jahre lang hat er bei indischen Yogis gelernt und in strengster Askese gelebt …«
    »Was ist das?«, unterbrach Nadia seinen Redeschwall.
    »Naja, er hat auf alles verzichtet. Er hat auf Dornen geschlafen und sich bloß von ein paar Körnern Reis ernährt.«
    »Keine gute Idee …«
    »Das hat Siddharta dann auch gedacht. Als er nach diesem völlig unbeschwerten Leben in seinem Palast auch die härtesten Entbehrungen kennen gelernt hatte, fand er, dass der mittlere Weg der richtige ist.«
    »Warum nennen sie ihn den Erleuchteten?«
    »Weil er, als er fünfunddreißig war, sechs Tage und sechs Nächte reglos unter einem Baum meditiert hat«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Heute ist doch Vollmond, und der wird gefeiert, weil sich dann in einer Vollmondnacht Siddhartas Denken und sein Geist geöffnet haben und er alle Prinzipien und Vorgänge des Lebens verstanden hat. Das heißt, er ist zum Buddha geworden.«
    » Buddha ist ein Wort aus dem Sanskrit, es heißt erwacht oder erleuchtet «, ergänzte Kate, die Alexander aufmerksam zugehört hatte. »Buddha ist also kein Name, sondern ein Titel, jeder kann durch die Art, wie er lebt, und durch spirituelle Übung zum Buddha werden.«
    »Das Wichtigste für die Buddhisten ist das Mitleid mit allem Lebendigen oder mit allem, was es überhaupt gibt«, sprudelte Alex. »Es heißt, dass jeder die Wahrheit oder Erleuchtung in sich selbst suchen muss, nicht bei anderen oder bei äußerlichenDingen. Deshalb versuchen die buddhistischen Mönche auch nicht einen zu bekehren wie unsere Missionare, sondern verbringen die meiste Zeit in stiller Meditation und suchen nach ihrer eigenen Wahrheit. Sie besitzen bloß ihre Umhänge, ihre Sandalen und ihr Essgeschirr, mit dem sie um etwas zu essen betteln. Materielle Besitztümer interessieren sie nicht.«
    Nadia, die ja selbst bloß eine kleine Tasche mit den nötigsten Kleidungsstücken und drei Papageienfedern besaß, hatte an diesem Teil des Buddhismus nicht das Geringste auszusetzen.
    ~
    Am Vormittag wurden Wettkämpfe im Zielschießen veranstaltet, und die Leute strömten in Massen zum Turnierplatz von Tunkhala. Herausgeputzt in ihren Festtagsgewändern, behängt mit Blumengirlanden, die ihnen die Mädchen um den Hals gelegt hatten, traten die besten Bogenschützen des Landes gegeneinander

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