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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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den Ohren, auf den Wimpern, unter den Kleidern. Also kramten sie trotz der drückenden Wärme ihre Schlafsäcke hervor und packten sich bis zum Hals ein. Angie und Nadia schlangen sich zusätzlich Tücher um den Kopf, damit sich das Ungeziefer in ihren langen Haaren nicht häuslich einrichtete.
    »Wo Kakerlaken sind, da sind keine Schlangen«, sagte Nadia.
    Das war ihr gerade eingefallen und wirkte wie ein Zauberspruch: Joel, der dauernd aufgeschreckt war und sich nervös umgeblickt hatte, drehte sich auf die Seite und lächelte still, als freute er sich an der Gesellschaft der Kakerlaken.
    ~
    Noch in derselben Nacht, als ihren Gefährten trotz der Kakerlaken, der Ratten und der bedrohlichen Nähe von Kosongos Männern die Augen zugefallen waren, entschloss sich Nadia zum Handeln. Erschöpft, wie sie waren, würden die anderen sicher einige Stunden schlafen, sie dagegen konnte die Gedanken an die Pygmäen nicht abschütteln: Sie musste herausfinden, was hinter diesen Palisadenvorging, wo sie die Frauen hatte verschwinden sehen. Sie zog ihre Stiefel aus und griff nach einer Taschenlampe. Rechts und links der Tür saßen die beiden Wachen mit ihren Buschmessern, aber darüber machte sie sich keine Sorgen, denn nicht umsonst übte sie seit drei Jahren das Unsichtbarwerden. Gelernt hatte sie das bei den Nebelmenschen, einem Indianerstamm am Amazonas. Die Nebelmenschen konnten ganz mit dem Wald verschwimmen, was nicht nur mit ihrer Tarnbemalung zu tun hatte. Sie bewegten sich stumm und schwerelos in einem Zustand äußerster Konzentration, den man nur für kurze Zeit aufrechterhalten konnte. Diese Kunst hatte Nadia schon manches Mal aus der Klemme geholfen, deshalb übte sie fleißig. Zuweilen verschwand sie aus dem Klassenraum, ohne dass ihre Lehrer oder Mitschüler es merkten, und später wusste niemand mit Sicherheit zu sagen, ob sie eigentlich am Unterricht teilgenommen hatte. Sie fuhr ungesehen in vollbesetzten U-Bahnen durch New York und stellte sich manchmal probehalber ganz dicht vor einen Mitreisenden, dem sie ins Gesicht schaute, ohne dass er die leiseste Regung zeigte. Aber am meisten hatte Kate unter ihrem beharrlichen Training zu leiden, weil sie nie sicher sein konnte, ob Nadia in der Wohnung war oder sie sich das nur eingebildet hatte.
    Nadia wisperte Borobá zu, er solle in der Hütte bleiben, denn sie konnte ihn nicht mitnehmen, dann atmete sie einige Male tief durch, bis alle Anspannung von ihr abfiel, und konzentrierte sich darauf zu verschwinden. Als es so weit war, bewegte sie sich fast wie hypnotisiert. Sie stieg über ihre schlafenden Gefährten hinweg, ohne sie zu berühren, und glitt auf die Tür zu. Den beiden vom Palmwein benebelten Männern war die Wache wohl langweilig geworden, und sie hatten beschlossen, sich abzuwechseln. Der eine lehnte schnarchend an der Wand, während der andere etwas ängstlich in die Schwärze des Dschungels spähte, als könnte dort jederzeit eine Spukgestalt auftauchen. Nadia trat in die Tür, der Mann wandte den Kopf zu ihr um, und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Der Wachmann blinzelte, als hätte er Nadias Gegenwart gespürt, schüttelte aber gleich darauf den Kopf, reckte sich und gähnte. Er hatte Mühe, die Augen offen zu halten, und griff nicht nach dem Buschmesser, das neben ihm lag, als Nadia an ihm vorbei- und davonhuschte.
    Ungesehen von den wenigen Leuten, die um diese Zeit noch wach waren, durchquerte Nadia das Dorf. Sie glitt dicht an den mit Fackeln beleuchteten Lehmbauten vorbei, in denen der König seine Wohnräume hatte. Ein schlafloser Affe sprang von einem Baum und landete vor ihren Füßen, für einen Moment war sie abgelenkt und hätte entdeckt werden können, aber schnell hatte sie sich wieder gefasst und eilte weiter. Sie fühlte sich schwerelos, als würde sie schweben. Endlich kam sie bei den beiden Pferchen an, hoch ragten die Palisaden aus Holzstämmen, die man in den Boden getrieben und mit Lianen und Lederriemen zusammengebunden hatte. Ein Teil der rechteckigen Pferche war mit Palmstroh gedeckt, der Rest lag unter freiem Himmel. Es gab jeweils ein Gatter mit einem dicken Querbalken aus Holz, das sich nur von außen öffnen ließ. Keine Wachen.
    Nadia ging um die Pferche herum und tastete die Umzäunung mit der Hand ab, weil sie es nicht wagte, ihre Taschenlampe anzuknipsen. Die Palisade war stabil und hoch, aber wer es darauf anlegte, hätte die Unregelmäßigkeiten im Holz und die Knoten der Lianen und Riemen nutzen und

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