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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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darüber klettern können. Warum flohen die Frauen nicht? Als Nadia die Pferche zweimal umrundet und nahebei niemanden gesehen hatte, fasste sie sich ein Herz und trat an eines der Gatter. Solange sie unsichtbar war, konnte sie sich nur sehr behutsam bewegen und würde den Balken nicht zurückschieben können. Sie musste ihre Tarnung aufgeben.
    ~
    Die Geräusche des Waldes belebten die Nacht: Stimmen von Vögeln und anderen Tieren, ein Flüstern in den Bäumen und Seufzen am Boden. Nadia dachte bei sich, dass die Leute ganz Recht hatten, wenn sie nachts das Dorf nicht verließen, denn es hörte sich wirklich so an, als stammten diese Laute von Geisterwesen. Nadia schaffte es nicht, das Gatter leise zu öffnen. Das Holz knarrte. Vom Dorfplatz kamen bellend Hunde angelaufen, aber sie redete in der Sprache der Hunde auf sie ein, und sofort waren sie wieder still. Ihr war, als hörte sie ein Kind weinen, sie lauschte, aber das Geräusch war schon verstummt. Dann stemmte sie erneut dieSchulter unter den Balken, der viel schwerer war, als sie gedacht hatte. Endlich bewegte er sich in der Führung, sie schob ihn nach hinten, öffnete das Gatter einen Spaltbreit und glitt hinein.
    Ihre Augen hatten sich mittlerweile etwas an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte sehen, dass der offene Teil des Pferchs leer war. Mit pochendem Herzen schlich sie auf die Überdachung zu und warf immer wieder Blicke über die Schulter, um notfalls die Flucht zu ergreifen. Doch weiter ins Dunkel wagte sie sich nicht, sie zögerte kurz, dann knipste sie die Taschenlampe an. Als der Lichtkegel auf den hinteren Teil des Schuppens traf, fuhr Nadia zusammen, schrie leise auf und hätte um ein Haar die Taschenlampe fallen gelassen. Wenige Schritte vor ihr drängten sich zwölf oder fünfzehn kleine Gestalten mit dem Rücken gegen die Palisade. Kinder, zuckte es ihr durch den Kopf, aber dann erkannte sie die Frauen, die für Kosongo getanzt hatten. Sie schienen ebenso erschrocken wie sie selbst, gaben aber keinen Laut von sich, sondern starrten sie nur mit großen Augen an.
    »Schhh …«, machte Nadia mit dem Finger an den Lippen. »Ich tue euch nichts, ich will euch helfen«, flüsterte sie erst auf Portugiesisch, dann auf Spanisch, auf Englisch und Französisch.
    Auch wenn die Frauen die Wörter nicht verstanden, den Sinn schienen sie doch zu erfassen. Eine von ihnen trat einen Schritt auf Nadia zu und streckte zaghaft, mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick, den Arm nach ihr aus. Nadia berührte ihre Hand. Die andere wich zurück, hob aber nun den Kopf, sah Nadia unverwandt an und war wohl erleichtert, denn sie lächelte. Sie nahm Nadias Hand, und diese Berührung sagte mehr, als Worte hätten ausdrücken können.
    »Nadia, Nadia«, sagte Nadia und klopfte sich mit der flachen Hand an die Brust.
    »Jena«, sagte die andere.
    Nun kamen auch die anderen Frauen näher, betasteten neugierig Nadias Schultern, vergruben ihre Finger in ihrem Haar, tuschelten und lachten. Im Handumdrehen hatten sie in der Berührung, in Mimik und Gestik eine gemeinsame Sprache gefunden, und der Rest war einfach. Die Pygmäinnen spielten Nadia vor, was mit ihnen geschehen war, und sie begriff, dass die Frauen von ihrenMännern getrennt worden waren, dass die Männer für Kosongo Elefanten jagen mussten, nicht wegen des Fleisches, sondern wegen der Stoßzähne, die er wahrscheinlich an Schmuggler verkaufte. Wenn sie es richtig deutete, gab es noch eine zweite Gruppe Männer, die für den König in einer Mine weiter im Norden Diamanten schürften. Daher stammte sein Reichtum. Die Männer bekamen für ihre Arbeit Zigaretten und etwas zu essen und durften hin und wieder ihre Frauen sehen. Lieferten sie nicht genug Elfenbein oder Diamanten, trat Kommandant Mbembelé auf den Plan. Es gab viele Strafen, Leute wurden umgebracht, aber am meisten fürchteten die Frauen, dass man ihnen ihre Kinder wegnahm, die als Sklaven verkauft wurden. Jena machte Nadia klar, dass es kaum noch Elefanten in den Wäldern gab, die Jäger mussten immer weiter wandern, um welche aufzuspüren. Die Jäger waren zu wenige, und die Frauen konnten ihnen nicht wie früher bei der Jagd helfen. Was würde mit ihren Kindern geschehen, wenn es eines Tages keine Elefanten mehr gäbe?
    Nadia war sich nicht sicher, ob sie alles richtig begriffen hatte. Sie hatte immer gedacht, die Sklaverei sei lange abgeschafft, aber die Pantomime der Frauen war sehr deutlich. Kate sollte ihr später bestätigen, dass es

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