Die Abenteuer von Aguila und Jaguar
getreten und redete beruhigend auf ihn ein in der Sprache, die sie von Kobi gelernt hatte. Der große Bulle war am Ende seiner Kräfte: Wo die Speere ihn verletzt hatten, rann Blut an seinen Flanken hinab und an seinem Rüssel, der den Boden peitschte. Ihm war, als käme die Stimme des Mädchens, dasin seiner Sprache mit ihm redete, von weit her, als träumte er sie. Er hatte niemals mit Menschen zu tun gehabt und nicht erwartet, dass sie redeten wie er. Aus reiner Erschöpfung hörte er zu. Langsam, aber stetig durchdrang der Klang dieser Stimme die Mauer aus Verzweiflung, Schmerz und Todesangst und erreichte sein Bewusstsein. Er wurde ruhiger und warf sich nicht mehr gegen die Netze. Schwer atmend, den Blick starr auf Nadia gerichtet, stand er da, nur seine großen Ohren wedelten vor und zurück. Ein starker Geruch nach Angst schlug Nadia entgegen, aber sie redete weiter auf den Elefanten ein und war sich nun sicher, dass er sie verstand. Die Jäger glaubten ihren Ohren nicht zu trauen, als der Elefant plötzlich antwortete: Kein Zweifel, die beiden verständigten sich miteinander.
Nadia wandte sich an Beyé-Dokou: »Dafür, dass wir euch das Ipemba-Afua zurückgebracht haben, bitten wir um das Leben des Elefanten.«
Für die Pygmäen war das Amulett weit wertvoller als das Elfenbein des Elefanten, aber sie wussten nicht, wie sie den Bullen aus den Netzen befreien sollten, ohne dass er sie niedertrampelte oder mit eben den Stoßzähnen aufspießte, die sie Kosongo hätten bringen sollen. Nadia versprach, dass er ihnen nichts tun würde. Mittlerweile war Alexander dicht herangetreten und besah sich die Wunden, die die Speere in die dicke Haut geschlagen hatten.
»Er hat viel Blut verloren, braucht dringend Wasser, und die Wunden könnten sich entzünden. Ich fürchte, er geht langsam und elend zugrunde.«
Da nahm Beyé-Dokou das Amulett und ging auf das Tier zu. Er streifte einen kleinen Pfropfen von einem Ende des Knochens, neigte ihn und schüttelte wie aus einem Salzstreuer ein grünliches Pulver in die ausgestreckten Handflächen eines zweiten Jägers. Die beiden bedeuteten Nadia, dass sie die Wunden des Elefanten damit einreiben sollte, denn sie selbst wagten nicht, das Tier anzufassen. Nadia erklärte dem Elefanten, dass sie etwas gegen seine Schmerzen tun werde, und als sie glaubte, er habe verstanden, strich sie das Pulver in die tiefen Wunden.
Sie hatte gehofft, die Schnitte würden sich unverzüglich wie von Zauberhand schließen, das taten sie zwar nicht, hörten jedoch fastsofort auf zu bluten. Der Elefant drehte den Kopf und wollte mit dem Rüssel seine Flanken abtasten, aber Nadia mahnte ihn, die verletzten Stellen nicht zu berühren.
Nun fassten sich die Pygmäen ein Herz und machten sich an den Netzen zu schaffen, die wegzunehmen weit schwieriger war, als sie zwischen die Bäume zu spannen, aber schließlich war der alte Elefantenbulle befreit. Er hatte schon aufgegeben, womöglich bereits einen Fuß über die Schwelle zwischen Leben und Tod gesetzt, und nun war er unverhofft und wie durch ein Wunder frei. Zögernd tat er einen Schritt, noch einen, dann lief er wankend hinein ins Dickicht. Im letzten Augenblick, ehe er sich im Unterholz verlor, drehte er sich nach Nadia um, sah sie aus einem Auge ungläubig an, hob den Rüssel und trompetete.
»Was sagt er?«, wollte Alex wissen.
»Falls wir ihn brauchen, sollen wir ihn rufen«, übersetzte Nadia.
~
Bald würde es dunkel sein. Nadia hatte in den letzten Tagen kaum gegessen, und Alex war ebenso hungrig wie sie. Die Jäger entdeckten die Spur eines Büffels, folgten ihr jedoch nicht, denn Büffel waren gefährlich und immer in Gruppen unterwegs. Ihre Zungen seien so rau, sie könnten einem Menschen die Haut von den Knochen lecken, sagte Beyé-Dokou. Ohne die Hilfe ihrer Frauen konnten sie keinen Büffel erlegen. Im Laufschritt führten die Pygmäen Nadia und Alex zu ein paar winzigen Behausungen aus Ästen und Blättern. Es war unvorstellbar, dass in diesen erbärmlichen Unterschlüpfen Menschen wohnen sollten. Die Jäger bauten keine stabileren Hütten, weil sie selten lange an einem Ort verweilten, von ihren Frauen und Kindern getrennt waren und immer weitere Wege zurücklegen mussten auf der Suche nach Elefanten. Sie besaßen nur so viel, wie sie tragen konnten, und stellten nur Werkzeug her, das für ihr Überleben und die Jagd unabdingbar war. Brauchten sie darüber hinaus etwas, tauschten sie es im Dorf gegen Fleisch ein. Weil sie nicht
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