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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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nicht so undurchdringlich, wie sie zunächst geglaubt hatten, es gab Lücken zwischen den Baumkronen, durch die das Licht der Sonne fiel.
    Alex hielt sein Taschenmesser in der Hand und wartete auf das erstbeste essbare Tier, das in seine Nähe käme, aber diesen Gefallen tat ihm keins. Zwar huschten bisweilen Ratten zwischen seinen Füßen hindurch, aber die waren zu flink für ihn. So begnügten sich die beiden mit Früchten, die sie nicht kannten und die bitter schmeckten. Borobá aß sie, also schadeten sie wohl nicht, und sie griffen zu. Sie fürchteten, sich zu verlaufen, ja, sie hatten sich schon verlaufen, denn sie wussten weder, wie sie nach Ngoubé zurückfinden noch wie sie die Pygmäen treffen sollten. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Pygmäen sie finden würden.
    Seit Stunden irrten sie nun schon so verloren und verzagt durchs Dickicht, als Borobá plötzlich zu kreischen begann. Wie so oft hockte der Affe auf Alexanders Kopf, hatte seinen Schwanz um Alexanders Hals geringelt und klammerte sich an seinen Ohren fest, denn von dort oben hatte er eine bessere Aussicht als von Nadias Schulter. Zwar klaubte Alex ihn wieder und wiederherunter, doch ehe er sich’s versah, hatte der Affe seinen Lieblingsplatz zurückerobert. Und diesmal war es ihr Glück, denn von dort oben entdeckte er die Spuren. Obwohl nur wenige Schritte entfernt, waren sie kaum zu erkennen. Es waren Spuren von großen Füßen, die das Unterholz knickten und eine Art Pfad durch das Dickicht bahnten. Alex und Nadia hatten solche Spuren bei ihren Ausflügen mit Michael Mushaha gesehen und erkannten sie sofort.
    »Ein Elefant!« Alex spürte, wie seine Lebensgeister zurückkehrten. »Wenn hier ein Elefant unterwegs ist, dann sind auch die Pygmäen nicht weit.«
    ~
    Der Elefant war seit Tagen gehetzt worden. Die Pygmäen verfolgten ihre Beute, bis sie restlos erschöpft war, trieben sie immer weiter in die Enge und schließlich hinein in die Netze. Dann griffen sie an. Diesem Elefanten war am Vorabend eine kurze Atempause vergönnt gewesen, als Beyé-Dokou und die Seinen die Jagd unterbrachen, um die Fremden nach Ngoubé zu führen. Während dieses Abends und der ersten Nachtstunden hatte der Elefant in sein angestammtes Revier zu entkommen versucht, aber er war entkräftet und verwirrt. Die Jäger hatten ihn weit hinein in unbekanntes Gebiet gedrängt, er fand nicht zurück und lief im Kreis. Die Menschen mit ihren Netzen und Speeren kündeten von seinem Ende. Instinktiv wusste er es, aber er lief weiter, denn noch war er nicht bereit zu sterben.
    Seit unvordenklichen Zeiten stehen Elefant und Jäger einander gegenüber. Das Ritual dieser Jagd auf Leben und Tod ist in beider Dasein eingebrannt. Der Taumel der Gefahr schlägt sie in seinen Bann. Im Moment der Entscheidung ist es, als halte die Natur den Atem an, der Wald verstummt, selbst der Wind schweigt, und endlich, wenn das Schicksal von einem der beiden besiegelt wird, schlägt das Herz von Mensch und Tier im selben Takt. Der Elefant ist der König des Urwalds, er ist groß, er ist massig und ehrfurchtgebietend, und kein Tier des Waldes stellt sich ihm in den Weg. Sein einziger Feind ist der Mensch, ein kleines, zerbrechliches Geschöpf ohne Krallen und Reißzähne, das er zertreten kann wieeine Eidechse. Wie kann dieses Nichts es wagen, ihm die Stirn zu bieten? Doch hat die Jagd erst begonnen, bleibt nicht die Zeit, diesen ungleichen Kampf zu belächeln, denn Jäger und Beute wissen, dieser Tanz wird erst mit dem Tod enden.
    Die Jäger hatten lange vor Nadia und Alex gesehen, wo das Unterholz niedergetrampelt und die Zweige der Bäume wie Reisig geknickt waren. Seit Stunden folgten sie dem Elefanten in sicherer Entfernung und trieben ihn gekonnt immer weiter in die Enge. Es war ein alter, einzelgängerischer Bulle mit zwei mächtigen Stoßzähnen. Die Pygmäen waren nur zu zwölft und hatten nichts als ihre armseligen Speere, aber diese Beute würde ihnen nicht entkommen.
    Vor Jahren, als sie noch frei gewesen waren, hatten ihre Frauen die Beute gehetzt und zu den Fallen getrieben, wo sie warteten. Damals war jeder Jagd eine Zeremonie vorausgegangen, in der sie ihre Ahnen um Beistand baten und dem Tier dafür dankten, dass es zu sterben bereit war, aber seit Kosongo seine Schreckensherrschaft errichtet hatte, war nichts mehr wie zuvor. Selbst die Jagd, die von jeher ihr Überleben gesichert hatte, war von einer heiligen Handlung zu einem Abschlachten verkommen.
    Alexander und Nadia

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