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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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lächeln.
    Nadia machte den Indianern irgendwie klar, was Alex wollte. Als sie es endlich begriffen hatten, setzten sich ein paar in Bewegung, und bald hatten sie aus Lianen ein Seil geflochten. Unter den fragenden Blicken der Krieger schlang Alex das eine Ende um Nadias Hüfte und band das andere um seine Brust. Offensichtlich ging den Indianern nicht in den Kopf, dass die Fremden etwas so Idiotisches taten: Wenn einer ausrutschte, würde er den anderen mit in die Tiefe reißen.
    ~
    Die Wanderer näherten sich dem Wasserfall, der aus einer Höhe von über fünfzig Metern donnernd in die Tiefe stürzte und unten zu einer riesigen Wasserwolke zerstob, die von einem glitzernden Regenbogen gekrönt war. Hunderte schwarzer Vögel schossen von allen Seiten durch den Wasserfall. Die Indianer streckten ihre Waffen in die Höhe und grüßten lautstark den Fluss, der aus dem Himmel fällt: Bald würden sie wieder zu Hause sein. Waren sie erst einmal auf dem Hochplateau angekommen, konnte ihnen nichts mehr gefährlich werden. Drei der Krieger verschwanden für eine Weile im Wald und kehrten mit einer Art Kugeln zurück, die sie auch Alex und Nadia in die Hand drückten: Es war ein weißes Harz, zäh und sehr klebrig. Die beiden machten es den anderen nach und rieben sich Handflächen und Fußsohlen damit ein. Beim Auftreten blieb lockere Erde an den Füßen haften und bildete so etwas wie eine raue Schuhsohle. Die ersten Schritte waren beschwerlich, aber sobald sie unter den Sprühregen des Wasserfalls traten, erwies sich dieses Harz als äußerst nützlich: Es wirkte wie Socken und Handschuhe aus Klebstoff.
    Sie folgten dem Ufer des kleinen Sees, der sich am Fuß des Wasserfalls gebildet hatte, und klatschnass gelangten sie schließlich hinter den Fall selbst, einen dichten Vorhang aus Wasser, der einige Meter von der Felswand entfernt niederprasselte. Die Gischt toste, und es war unmöglich, einander zu verstehen, auch Zeichensprache half nicht mehr weiter, denn die Luft war undurchdringlich wie ein nasser Wattebausch. Fast blind tasteten sie sich in der Wolke vorwärts. Nadia hatte Borobá dazu gebracht, sich an Alex festzuklammern, und da hing er nun wie ein heißer, pelziger Stoffflicken, während sie selbst nur hinterherkam, weil ihr mit dem Seil um die Hüfte nichts anderes übrig blieb. Die Krieger kannten den Weg gut, gingen langsam, aber nicht zögernd, und achteten sehr genau darauf, wohin sie traten. Alex und Nadia blieben dicht hinter ihnen, denn zwei Schritte Abstand hätten genügt, um sie vollständig aus den Augen zu verlieren. Nebelmenschen, dachte Alex, bestimmt kommt der Name von diesem dichten Nebelschleier, der das Tor zu ihrem Land verbirgt.
    Für die Fremden waren dieser und andere Wasserfälle am oberen Orinoko immer das Ende ihrer Entdeckungsfahrten gewesen, die Indianer jedoch hatten sie zu ihren Verbündeten gemacht. Der Stamm benutzte diesen Weg sicher schon seit Jahrhunderten, denn die Krieger kannten jede Kerbe, die vom Wasser ausgeschwemmt oder von ihren Vorgängern in den Fels gehauen worden war. Diese Einschnitte im Stein bildeten hinter dem Wasserfall so etwas wie eine Leiter, über die man bis nach oben gelangen konnte. Wenn man nichts davon wusste, war es vollkommen unmöglich, diese schlüpfrige Wand aus glattgeschliffenem Fels zu erklimmen, das ohrenbetäubende Getöse des Wasserfalls im Rücken. Ein falscher Schritt bedeutete den sicheren Tod inmitten der schäumenden Gischt.
    Bevor der Lärm des Wassers alle Worte schluckte, hatte Alex Nadia noch zubrüllen können, sie solle niemals nach unten sehen und alles genau so machen wie er, sich dort festklammern, wo er es tat, und er selbst werde es Tahama nachmachen, der vor ihm ging. Außerdem war der Anfang das Schwierigste, weil man bei dem Wassergestöber ja nichts erkennen konnte, weiter oben war es aber bestimmt nicht mehr so glitschig, und sie würdenbessere Sicht haben. Das half Nadia auch nicht weiter, sie brauchte gar nichts zu sehen, ihr wurde schon schlecht, wenn sie sich den Abgrund nur vorstellte. Sie durfte nicht daran denken, nicht auf das ohrenbetäubende Brüllen des Wassers achten, sie versuchte sich einzureden, dass sie mit dem Harz an Händen und Füßen guten Halt auf dem nassen Felsen finden würde. Das Seil gab ihr ein bisschen Sicherheit, obwohl auf der Hand lag, dass sie beide ins Leere stürzen würden, wenn einer danebentrat. Sie strengte sich an, alles so zu tun, wie Alex gesagt hatte: Sich ganz auf die nächste

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