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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Bewegung konzentrieren, darauf, wohin sie den Fuß setzte und wo sie sich festhielt, immer ein Schritt nach dem anderen, nicht übereilt und in einem gleichmäßigen Rhythmus. Sobald sie einigermaßen festen Stand hatte, tastete sie vorsichtig nach einer höher gelegenen Kerbe oder dem nächsten Vorsprung, wo sie sich festklammern konnte, suchte dann mit dem Fuß, bis sie einen neuen Halt gefunden hatte, und zog sich wieder ein paar Zentimeter hoch. Die Einschnitte im Fels waren tief genug, um sich darauf zu stellen, aber man durfte sich nie mit dem Körper von der Wand lösen, musste sich die ganze Zeit dagegen pressen. Ihr schoss durch den Kopf, was Borobá wohl gerade durchmachte: Wenn sie schon vor Angst fast umkam, wie würde sich dann erst ihr armes Äffchen dort an Alex’ Rücken fühlen?
    Tatsächlich wurde die Sicht besser, je höher sie stiegen, aber dafür verringerte sich der Abstand zwischen Wasserfall und Fels zusehends. Immer näher spürten Alex und Nadia das tosende Wasser im Rücken. Gerade als sie sich fragten, wie sie da oben bloß durchkommen sollten, bog die Felsleiter nach rechts ab. Alex tastete weiter, und seine Finger berührten eine flache Stelle; dann spürte er, wie er an den Handgelenken gepackt und in die Höhe gezogen wurde. Er stieß sich mit aller Kraft ab und landete in einer Höhle, in der die Krieger schon versammelt waren. Am Seil zog er Nadia nach oben, und sie fiel bäuchlings auf ihn, völlig benommen von der Kraftanstrengung und der Todesangst. Der arme Borobá rührte sich überhaupt nicht, starr vor Schreck hing er wie eine Klette an Alex. Vor dem Höhleneingang stürzte der dichte Vorhang aus Wasser herab, durch den die schwarzen Vögel kreuz und quer hindurchjagten, um ihre Nester gegen dieEindringlinge zu verteidigen. Alex dachte voller Bewunderung an die ersten Indianer, die sich womöglich schon in grauer Vorzeit hinter den Wasserfall gewagt hatten, dort Kerben gefunden und neue gehauen, die Höhle entdeckt und denen, die nach ihnen kamen, einen Weg geschaffen hatten.
    Sie waren in einer Art Tunnel, der sich nach hinten verengte, so dass man nicht mehr stehen konnte, sondern auf allen vieren kriechen oder auf dem Bauch vorwärts robben musste. Durch den Wasserfall drang milchigweißes Tageslicht, aber nur der Höhleneingang wurde spärlich davon erhellt, weiter innen war es stockfinster. Alex, der Nadia und Borobá im Arm hielt, sah, wie Tahama auf ihn zukam, herumfuchtelte und auf das herabstürzende Wasser zeigte. Obwohl man bei dem Getöse kein Wort verstehen konnte, begriff Alex schließlich, dass jemand abgestürzt oder zurückgeblieben war. Tahama deutete auf das Seil und wollte offensichtlich noch einmal hinunter, um nach dem Vermissten zu suchen. Wie geschickt der Indianer auch immer sein mochte, er war schwerer als Alex und hatte bestimmt überhaupt keine Erfahrung darin, einen Verunglückten an einer Felswand zu bergen. Er selbst war zwar auch nicht gerade ein Experte, aber zumindest hatte er seinen Vater bei einigen riskanten Unternehmungen begleitet, wusste, wie man sich abseilt, und hatte viel darüber gelesen. Außer Flötespielen gab es vielleicht überhaupt nichts, was er so gerne tat wie Bergsteigen. Er machte den Indianern mit Händen und Füßen klar, dass er selbst so weit absteigen würde, wie das Seil reichte. Er band Nadia los und zeigte Tahama und den anderen, wie sie ihn hinunterlassen mussten.
    Nur durch das dünne Seil gesichert, die donnernden Wassermassen im Rücken und unter sich den Abgrund, fand Alex den Abstieg weit schlimmer als den Aufstieg. Er sah fast nichts und wusste weder, wer abgestürzt war noch wo er suchen sollte. Dieses ganze halsbrecherische Unternehmen war doch vollkommen sinnlos, wer auch immer einen falschen Schritt gemacht hatte, musste schon längst unten zerschellt sein. Was würde sein Vater an seiner Stelle bloß tun? John Cold würde bestimmt zuallererst an den Verunglückten denken und nicht an sich selbst. John Cold würde sich nicht geschlagen geben, ehe er alles probiert hatte.Während sie ihn abseilten, spähte Alex angestrengt hinunter und versuchte, gleichmäßig zu atmen, konnte aber in dem prasselnden Wasser kaum die Augen offen halten und hatte das Gefühl, mit jedem Atemzug seine Lunge mit Wasser zu füllen. Er hing über dem Abgrund und beschwor die Lianen, nur ja nicht nachzugeben.
    Plötzlich berührte einer seiner Füße etwas Weiches, und gleich darauf konnte er die Gestalt eines Mannes ertasten,

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