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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und gütig, obwohl sein Gesicht aussah wie die verwitterte Rinde eines alten Baumes.
    »Da komme ich nie hoch«, sagte Nadia mit einem Blick auf die glatte, nasse Wand aus schwarzem Fels.
    Alex hatte sie auf der ganzen Reise noch nie so mutlos gesehen, und er konnte es ihr nachfühlen, denn obwohl er selbst jahrelang mit seinem Vater Berge und Felswände hinaufgeklettert war, wurden auch ihm vor dieser Wand die Knie weich. Sein Vater war einer der erfahrensten und verwegensten Bergsteiger der Vereinigten Staaten, hatte an einigen spektakulären Bergexpeditionen teilgenommen, und manchmal hatte man ihn um Hilfe gebeten, wenn Bergsteiger in den Alpen oder den Anden verunglückt waren und geborgen werden mussten. Aber er selbst war doch weder so geschickt noch so mutig wie sein Vater, und dessen Erfahrung hatte er schon gar nicht; noch nie hatte er sich an eine solche Steilwand gewagt. Am Rand des Wasserfalls dort hinaufzuklettern, noch dazu ohne Seil und ohne Hilfe, schien völlig ausgeschlossen.
    Nadia ging zu Mokarita und machte ihm mit Händen und Füßen und ein paar Wörtern, die sie mittlerweile gelernt hatte, begreiflich, dass sie dort nicht hochkommen würde. Nun sah der Häuptling überhaupt nicht mehr gütig aus, schien sich fürchterlich aufzuregen, brüllte etwas und fuchtelte mit seinen Waffen herum. Die anderen Indianer fingen jetzt genauso an, und schon schloss sich ein bedrohlicher Kreis von Kriegern um Nadia. Rasch trat Alex zu ihr und versuchte, die näher kommende Meute durch Gesten zu beruhigen, erreichte aber nur, dass Tahama Nadia bei den Haaren packte und sie in Richtung Wasserfall zerrte, während Borobá um sich schlug und kreischte. In einem plötzlichen Geistesblitz – vielleicht war es auch nur die Verzweiflung, die ihn dazu trieb – löste Alex die Flöte von seinem Gürtel, steckte sie hastigzusammen und spielte. Wie verhext blieben die Indianer stehen; Tahama ließ Nadia los, und alle umringten Alex.
    Als sich die Spannung etwas gelegt hatte, versuchte Alex, Nadia davon zu überzeugen, dass er ihr mit einem Seil beim Aufstieg helfen konnte. Er redete auf sie ein und sagte genau dasselbe, was er oft von seinem Vater gehört hatte: Bevor du einen Berg besiegen kannst, musst du lernen, deine Furcht zu nutzen.
    Aber Nadia war ein Häufchen Elend: »Ich habe so wahnsinnige Höhenangst, Jaguar, mir wird schwindlig. Es macht mich schon krank, wenn ich bloß mit meinem Vater ins Flugzeug steigen soll …«
    »Mein Papa sagt, dass Angst etwas Gutes ist, wie eine Alarmanlage, die losgeht, wenn Gefahr droht; aber manchmal kann man der Gefahr nicht ausweichen, und dann muss man die Angst beherrschen lernen.«
    »Ich kann nicht.«
    »Nadia, jetzt hör mir mal zu.« Alex hielt sie an beiden Oberarmen fest und zwang sie, ihn anzusehen. »Du musst tief und gleichmäßig atmen, beruhige dich. Ich zeige dir, wie du deine Furcht benutzen kannst. Du musst Vertrauen in dich selbst haben. Ich helfe dir da hoch, versprochen.«
    Nadia gab keine Antwort, sondern brach nur in Tränen aus und lehnte den Kopf an Alex’ Schulter. Was sollte das denn jetzt? Wohin mit seinen Händen? So dicht war ihm noch nie ein Mädchen auf die Pelle gerückt. Sicher, er hatte sich bestimmt tausendmal vorgestellt, Cecilia Burns zu umarmen, aber bei der bestand ja nicht die Gefahr, dass sie versuchte, ihn anzufassen, andernfalls hätte er wahrscheinlich die Flucht ergriffen. Cecilia Burns, die war gerade ziemlich weit weg, fast als gäbe es sie überhaupt nicht. Er konnte sich nicht einmal erinnern, wie sie aussah. Unwillkürlich schlossen sich seine Arme um Nadia. Er spürte, dass sein Herz donnerte wie eine Büffelherde auf der Flucht, war aber doch noch geistesgegenwärtig genug, um zu erkennen, wie absurd diese Situation war. Da stand er, mitten im Urwald, umzingelt von aufgebrachten, wüst bemalten Kriegern, hielt ein zu Tode erschrockenes Mädchen im Arm, und was ging ihm durch den Kopf? Sein Liebesleben! Entschlossen machte er sich von Nadia los und sah ihr in die Augen.
    »Hör auf zu weinen und sag diesen Herrschaften«, dabei deutete er auf die Indianer, »dass wir ein Seil brauchen. Und denk an den Talisman, der beschützt dich.«
    »Walimai hat gesagt, der beschützt mich vor Menschen, Tieren und Geistern. Es war keine Rede davon, dass ich abstürze und mir den Hals breche.«
    »An irgendetwas muss man schließlich sterben, sagt meine Großmutter immer.« Das sollte tröstlich klingen, und Alex versuchte zu

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