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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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der in der Luft zu hängen schien. Angst durchzuckte Alex, als er begriff, dass es Häuptling Mokarita war. Er erkannte die gelbe Federkrone, die noch immer fest auf dem Kopf des Häuptlings saß, obwohl der Alte wie ein Schlachtvieh am Haken an einer dicken Wurzel hing, die aus der Felswand ragte und, es war wie ein Wunder, seinen Sturz aufgehalten hatte. Alex konnte nirgends Halt finden und wollte sich nicht auf die Wurzel stellen, weil er fürchtete, sie könnte nachgeben und Mokarita in den Abgrund schleudern. Ich habe nur einen einzigen Versuch, dachte er, wenn ich den Alten nicht sofort richtig zu fassen kriege, glitscht er mir, nass wie er ist, wie ein Fisch durch die Finger.
    Er stieß sich ab, schwang fast blind auf den leblos dahängenden Körper zu und umfing ihn mit Beinen und Armen. Die Krieger in der Höhle mussten das zusätzliche Gewicht gespürt haben, denn nun zogen sie die beiden vorsichtig hoch, ganz langsam, damit sich die Lianen nicht an dem Felsen abscheuerten und Alex und Mokarita nicht gegen den Stein geschleudert wurden. Vielleicht dauerte das ganze nur Minuten, aber Alex kamen sie vor wie Stunden. Er hatte jedes Gefühl für Zeit verloren. Endlich spürte er, dass viele Hände nach ihm griffen und er in die Höhle gezogen wurde. Die Indianer mussten Mokarita fast mit Gewalt aus seinen Armen befreien: Alex hielt ihn umklammert wie eine Schlingpflanze.
    ~
    Der Häuptling rückte sich die Federkrone auf dem Kopf zurecht und lächelte schwach. Blut rann ihm aus Nase und Mund, ansonsten schien er jedoch unverletzt. Die Indianer zeigten sich von der Rettungsaktion tief beeindruckt, ließen das Seil von Hand zu Hand gehen, kamen aber offensichtlich gar nicht auf die Idee, dass es derfremde Junge gewesen war, der ihren Häuptling vor dem sicheren Tod bewahrt hatte, vielmehr beglückwünschten sie Tahama zu seinem tollen Einfall. Alex war ausgepumpt, alles tat ihm weh, und eigentlich hätte ruhig einmal jemand danke sagen können, doch selbst Nadia würdigte ihn keines Blickes. Sie kauerte zusammen mit Borobá in einem Winkel und hatte von der Heldentat ihres Freundes gar nichts mitbekommen, so sehr steckte ihr der Aufstieg noch in den Knochen.
    Das Schlimmste hatten sie überstanden, der Tunnel öffnete sich in einiger Entfernung vom Wasserfall, und der weitere Aufstieg war nicht mehr so riskant. Die Indianer banden Mokarita und Nadia das Seil um, denn dem Häuptling schwanden die Kräfte und Nadia der Mut, aber schließlich hatten sie das Hochplateau erreicht, wo der Fluss, der sich noch eben mit Getöse in die Tiefe gestürzt hatte, friedlich an ihnen vorbeiströmte.
    »Was habe ich gesagt? Der Talisman taugt doch gegen die Gefahren der Höhe«, versuchte Alex Nadia aufzuheitern.
    »Da hast du mal Recht!«
    Vor ihnen lag das Auge der Welt, wie die Nebelmenschen die Heimat ihres Stammes nannten. Es war eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, mit Hügeln und rauschenden Wasserfällen, einem endlosen Wald und allen Arten von Getier, vielen Vögeln und Schmetterlingen, dazu angenehme Temperaturen, und von den Moskitos, die in den tiefer gelegenen Flusstälern in Wolken über einen herfielen, war hier überhaupt nichts zu merken. Wie riesige Stelen aus schwarzem Gestein und roter Erde erhoben sich in der Ferne sonderbare Felstürme. Mokarita, der erschöpft auf der Erde lag und sich nicht bewegen konnte, deutete mit einem ehrfürchtigen Kopfnicken in ihre Richtung und sagte mit schwacher Stimme: »Tepuis, die Häuser der Götter.« Nadia übersetzte es für Alex, aber der hatte diese riesigen Tafelberge schon wiedererkannt: Sie sahen genauso aus wie die mächtigen Felstürme, die er im Hof von Mauro Carías gesehen hatte, als er dem Jaguar gegenüberstand.
    »Das sind die ältesten und geheimnisvollsten Berge der Erde«, sagte er.
    »Woher willst du das wissen? Hast du sie schon mal gesehen?« Nadia sah ihn zweifelnd an.
    »In einem Traum.«
    Der Indianerhäuptling klagte nicht über Schmerzen, schließlich war er ein Krieger von Rang, wirkte jedoch sehr entkräftet, und immer wieder schloss er die Augen und schien das Bewusstsein zu verlieren. Vielleicht hatte er Knochenbrüche und schwere innere Verletzungen, Alex wusste es nicht, jedenfalls konnte er nicht mehr aufstehen. Mit Nadia als Dolmetscherin brachte Alex die Indianer dazu, dass sie Lianen zwischen zwei lange Äste spannten und ein Stück Rinde darüber legten, wodurch eine behelfsmäßige Trage entstand. Die Krieger schienen über den

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