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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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dicke Holzknüppel in der Hand, alle hatten Narben am Kopf, und Alex fiel wieder ein, dass das eine Art Kriegsauszeichnung war: Wie mutig und stark jemand war, zeigte sich daran, welche Knüppelhiebe er aushalten konnte.
    Alex musste Nadia schütteln, damit sie aus ihrer Benommenheit erwachte, so sehr saß ihr die Begegnung mit der Bestie noch in den Knochen. Sie machte den Kriegern irgendwie begreiflich, was sich in der Nacht zugetragen hatte, und die hörten ihr zwar aufmerksam zu, schienen jedoch nicht überrascht und verloren auch kein Wort über den Gestank.
    Die Indianer setzten sich unverzüglich in Marsch, folgten in einer Reihe ihrem Häuptling, den Nadia Mokarita nannte, denn wie er eigentlich hieß, konnte sie ihn ja schlecht fragen. Nach dem Aussehen seiner Haut, seiner Zähne und verhutzelten Füße zu urteilen, war Mokarita viel älter, als Alex im Dunkeln angenommen hatte, wirkte aber genauso behände und zäh wie die anderen Krieger. Unter den jungen Männern fiel einer besonders auf, denn erwar größer und muskulöser und als Einziger ganz schwarz bemalt, bis auf eine Art rote Maske über Augen und Stirn. Er ging immer neben dem Häuptling, als wäre er sein Stellvertreter, und nannte sich selbst Tahama; später sollten Nadia und Alex erfahren, dass das sein Ehrentitel als bester Jäger des Stammes war.
    Obwohl der Wald überall gleich aussah und keinerlei Anhaltspunkte bot, wussten die Indianer offensichtlich genau, wohin sie gingen. Sie drehten sich nicht ein einziges Mal nach den beiden Fremden um: Es war klar, dass die ihnen folgten, es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, wenn sie sich nicht verirren wollten. Manchmal hatten Alex und Nadia den Eindruck, allein zu sein, denn sie konnten die Nebelmenschen im Pflanzendickicht nicht mehr erkennen; aber dann tauchten sie gleich wieder auf, fast als würden sie sich in der Kunst des Unsichtbarwerdens üben. Diese Begabung zu verschwinden kann unmöglich nur etwas mit ihrer Tarnfarbe zu tun haben, dachte Alex, sie müssen sich irgendwie geistig in diesen Zustand versetzen. Wie machen die das bloß? Er malte sich aus, wie nützlich dieser Trick in der Schule sein konnte, und nahm sich vor, ihn zu lernen. In den folgenden Tagen sollte ihm klar werden, dass es sich nicht um ein simples optisches Täuschungsmanöver handelte, sondern dass man viel üben musste und höllische Konzentration brauchte, so ähnlich wie für das Flötespielen.
    Die Indianer behielten das schnelle Marschtempo über Stunden bei; nur hin und wieder machten sie an einem Bachlauf Halt, um Wasser zu trinken. Alex war hungrig, aber wenigstens tat sein Knöchel mit dem Ameisenbiss nicht mehr weh. César Santos hatte erzählt, dass die Indianer essen, wenn sie Gelegenheit dazu haben – nicht unbedingt jeden Tag –, und ihr Körper daran gewöhnt ist, die Energie zu speichern; Alex dagegen hatte immer einen gut gefüllten Kühlschrank zu Hause gehabt, zumindest solange seine Mutter noch gesund war, und wenn er einmal eine Mahlzeit hatte auslassen müssen, war ihm regelmäßig ganz flau geworden. Er musste grinsen: Von seinen früheren Gewohnheiten war nicht viel übrig geblieben. Unter anderem hatte er sich seit Tagen weder die Zähne geputzt noch frische Kleider angezogen. Und jetzt würde er eben das Knurren seines Magens überhören und den Hunger mitGleichgültigkeit abtöten. Hin und wieder warf er einen Blick auf seinen Kompass: Sie gingen Richtung Nordosten. Würde jemand kommen, um sie hier herauszuholen? Könnte er irgendwelche Zeichen auf dem Weg hinterlassen? Würde man sie von einem Hubschrauber aus sehen? Er war nicht zuversichtlich, eigentlich war ihre Lage aussichtslos. Er wunderte sich, dass Nadia überhaupt nicht erschöpft wirkte, sie schien sich ganz auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben.
    Vier oder fünf Stunden später – es war vollkommen unmöglich, hier die Zeit abzuschätzen – gelangten sie an einen klaren, tiefen Fluss. Ein paar Meilen folgten sie ihm, und dann, plötzlich, gingen Alex die Augen über, denn vor ihnen ragte eine riesige Felswand auf mit einem Wasserfall, der sich unter kriegerischem Donnern in die Tiefe stürzte und unten zu einer dicken Wolke aus Schaum und Wassertröpfchen zerstob.
    »Der Fluss, der aus dem Himmel fällt«, sagte Tahama.

ELFTES KAPITEL
Das unsichtbare Dorf
    Mokarita, der Häuptling mit der gelben Federkrone, erlaubte den Wanderern, eine kurze Rast einzulegen, bevor sie mit dem Aufstieg begannen. Er wirkte heiter

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