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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ihnen die Vorstellung von Belohnen und Strafen fremd; die Kinder schauten sich alles, was sie brauchten, bei den Erwachsenen ab. Zum Überleben in der Wildnis mussten sie Jagen und Fischen lernen, Säen und Ernten, die Natur und ihre Mitmenschen achten, ihnen helfen und einen Platz in der Gemeinschaft einnehmen. Jeder lernte in seiner eigenen Geschwindigkeit und konnte seine Begabungen entwickeln.
    Manchmal wurden in einer Generation nicht genügend Mädchen geboren, dann brachen die Männer zu langen Wanderungen auf und suchten sich Frauen in anderen Stämmen. Und hin und wieder besuchten auch die Mädchen andere Schabonos und fanden dort einen Mann. Außerdem wurden zuweilen ganze Familien aus anderen Gebieten aufgenommen, wenn ihr Stamm nach einem Kampf versprengt war, denn man musste sich zusammentun, wollte man im Urwald überleben. Bei den Kriegszügen gegen ein anderes Schabono ging es also nicht nur um die Tapferkeit der Krieger, sondern auch darum, neue Ehen zu schließen. Es war immer sehr traurig, wenn Jungen und Mädchen aufbrachen, um bei einem anderen Stamm zu leben, denn sie sahen ihre Familien selten wieder. Die Nebelmenschen hüteten das Geheimnis ihres Dorfes argwöhnisch und schützten sich so davor, angegriffen zu werden oder die Lebensgewohnheiten der Fremden übernehmen zu müssen. Seit Tausenden von Jahren lebten sie nun schon so und wollten das nicht ändern.
    ~
    Das Innere der Hütten war karg ausgestattet: Hängematten, Kalebassen, Äxte aus Stein, Messer aus Tierzähnen und Klauen, und dazwischen liefen ein paar Haustiere herum, die der Dorfgemeinschaft gehörten und überall ein und aus gingen, wie es ihnen passte. In der Junggesellenhütte wurden außerdem Bogen, Blasrohre und die dazugehörenden Pfeile aufbewahrt. Hier gab es nur die lebensnotwendigsten Dinge, sah man nichts Überflüssiges und auch keine Kunstwerke, und als Vorratskammer diente die Natur. Alex entdeckte keinen einzigen Gegenstand aus Metall, nicht einen Hinweis darauf, dass die Nebelmenschen jemals Kontakt mit der Außenwelt gehabt hatten, und sie hatten ja auch die Geschenke, die César Santos für sie zwischen die Bäume gehängt hatte, nicht angerührt. Noch etwas, das sie von den anderen Stämmen unterscheidet, sagte sich Alex, der daran denken musste, dass die Ärztin erzählt hatte, wie die indianischen Gemeinschaften im Laufe der Zeit durch die Gier nach Stahl und nach anderen Neuerungen der Fremden zerbrachen.
    Als es Nacht und kälter geworden war, hatte Alex seine Kleider wieder angezogen, aber er schlotterte trotzdem. Er sah zu, wie sich seine Zimmergenossen zum Schlafen zu zweit in die Hängematten legten oder sich am Boden aneinander kuschelten, um einander warm zu halten, aber da, wo er herkam, war körperliche Nähe zwischen Männern verpönt; dort berührten sich Männer nur, wenn sie aufeinander einprügelten oder es auf dem Sportplatz hoch herging. Er legte sich allein in eine Ecke und kam sich unbedeutend vor, kleiner als ein Floh. Diese paar Menschen in einem winzigen Dorf inmitten des Urwalds fielen doch in der Weite des Weltraums überhaupt nicht ins Gewicht. Verglichen mit der Unendlichkeit, war ihr Leben kürzer als ein Lidschlag. Oder vielleicht gab es sie eigentlich gar nicht, vielleicht waren die Menschen, die Planeten und überhaupt alles nur ein Traum, ein Spuk. Und noch vor ein paar Tagen habe ich mich selbst für den Mittelpunkt des Universums gehalten, dachte er und musste grinsen. Er fror und war hungrig; das würde bestimmt eine lange, durchwachte Nacht werden, aber schon bald schlief er tief und fest, als wäre er betäubt worden.
    Am Morgen erwachte er auf einer Strohmatte, eingekeiltzwischen zwei kräftigen Kriegern, die schnarchten und ihm ins Ohr pusteten wie früher sein Hund Poncho. Mühsam entwand er sich dem festen Griff der Indianer und stand leise auf, kam aber nicht weit, denn über die ganze Breite der Türschwelle lag eine mindestens zwei Meter lange, fette Schlange. Wie versteinert blieb Alex stehen und traute sich nicht weiter, obwohl die Schlange keinerlei Lebenszeichen von sich gab: Entweder war sie tot oder sie schlief. Es dauerte nicht lange, da rieben sich auch die Indianer den Schlaf aus den Augen, standen auf und verließen seelenruhig die Hütte, ohne die Schlange weiter zu beachten. Es war eine Boa constrictor, eines der Haustiere in Tapirawa-teri und dazu bestimmt, Ratten, Fledermäuse und Skorpione zu fressen und Giftschlangen aus dem Dorf fernzuhalten. Bei

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