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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wäre, wenn eine seiner Schwestern ohne Kleider vor ihm aufgetaucht wäre. Die indianischen Frauen und Kinder verloren fast sofort ihre Scheu und kamen langsam näher. So etwas hatten sie noch nie gesehen, vor allem dieser Junge aus Nordamerika war eine Sensation, weil er an einigen Stellen so weiß war. Die Grenzlinie zwischen dem Teil, der normalerweise von seiner Badehose bedeckt war, und dem sonnengebräunten Rest wurde besonders neugierig in Augenschein genommen. Sie rubbelten daran herum, um zu sehen, ob die Farbe abging, und lachten sich kaputt.
    Inzwischen hatten die Krieger Mokaritas Bahre abgesetzt, und die Dorfbewohner umringten ihren Häuptling. Sie wisperten miteinander in einem melodischen Singsang, der sich anhörte wie die Geräusche des Waldes, wie Regen, wie das Plätschern des Wassers über den Steinen im Flussbett, und Alex musste an Walimai denken. Staunend merkte er, dass er sie ziemlich gut verstehen konnte, solange er sich nicht anstrengte, sondern »mit dem Herzen zuhörte«. Nadia, die so verblüffend gut Sprachen lernen konnte, hatte gesagt, es sei nicht so wichtig, einzelne Wörter zu verstehen, wenn man begreift, was jemand sagen möchte.
    Eine Frau, die noch älter aussah als Mokarita, trat auf die Bahre zu. Später sollten Alex und Nadia erfahren, dass sie Iyomi hieß und eine der Ehefrauen des Häuptlings war. Alle machten ihr ehrfürchtig Platz, und mit tränenlosen Augen kniete sie sich neben ihren Mann und flüsterte ihm tröstende Worte ins Ohr, während die anderen sich nicht einmischten, aber einen stummen, ernstenKreis um die beiden bildeten, wie um ihnen zu zeigen, dass sie auf ihre Hilfe zählen konnten.
    Bald wurde es Nacht, und es war kalt. Alex hatte gelesen, dass in einem Schabono unter dem Gemeinschaftsdach immer viele kleine Feuer brennen, an denen man kochen und sich wärmen kann, aber in Tapirawa-teri war auch das Feuer verborgen wie alles andere. Nur nachts wurde in jeder Hütte eine kleine Kochstelle auf einem Steinaltar entfacht, denn mögliche Feinde oder böse Geister sollten das Dorf nicht entdecken können. Der Rauch entwich durch die Ritzen im Dach und löste sich in Nichts auf. Zunächst hatte Alex geglaubt, die Behausungen ständen völlig zufällig zwischen den Bäumen verstreut, aber schon bald fand er heraus, dass sie in einem ungefähren Kreis angeordnet waren wie in einem Schabono und das ganze Dorf durch eine Art Tunnel aus Ästen miteinander verbunden war. Vor Regen und Sonne geschützt, konnten die Bewohner über dieses Netz von verborgenen Wegen von Hütte zu Hütte gelangen und waren vor feindlichen Blicken sicher.
    Die meisten Indianer lebten in Familien zusammen, nur die halbwüchsigen und die noch nicht verheirateten Männer bewohnten eine Gemeinschaftshütte, in der Hängematten zwischen die Stützpfosten gespannt waren und Matten aus Palmblättern auf dem Boden lagen. Dort wurde Alex einquartiert, während Nadia mit zu Mokarita ging. Der Indianerhäuptling hatte sich als Heranwachsender mit Iyomi vermählt, die ein Leben lang seine Gefährtin geblieben war, hatte aber außer ihr noch zwei junge Ehefrauen und einen Stall voll Kinder und Enkelkinder. Wie viele es genau waren, wusste er nicht, und eigentlich spielte es auch keine Rolle: Die Kinder des Stammes wuchsen zusammen auf und wurden von allen Bewohnern des Dorfes beschützt und verhätschelt.
    Nadia hatte herausgefunden, dass es bei den Nebelmenschen gang und gäbe war, mehrere Ehefrauen oder Ehemänner zu haben; keiner blieb auf Dauer allein. Wenn ein Mann starb, nahm ein anderer dessen Kinder und Frauen bei sich auf, beschützte und versorgte sie. Das war etwa bei Tahama so, der wirklich ein guter Jäger sein musste, denn er trug die Verantwortung für etliche Ehefrauen und ein Dutzend Kinder. Ihrerseits konnte sich eine Frau, die mit einem schlechten Jäger vermählt war, andereMänner suchen, die ihr halfen, ihren Nachwuchs durchzufüttern. Für gewöhnlich wurden die Mädchen schon bei der Geburt einem Mann versprochen, aber die Eltern zwangen sie später nicht zur Heirat, und sie mussten auch nicht bei einem Mann bleiben, wenn sie nicht wollten. Es war ein Tabu, Frauen und Kinder zu misshandeln, und wer es brach, wurde aus der Familie ausgestoßen, musste allein schlafen und wurde selbst in der Junggesellenhütte nicht mehr geduldet. Das war die einzige Strafe bei den Nebelmenschen: Für sie war es das Schlimmste, wenn niemand mehr etwas mit ihnen zu tun haben wollte. Ansonsten war

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