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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Die älteren Männer hatten unterdessen Blätter und Rinde von unterschiedlichen Bäumen gemahlen und vermischt und so yopo gewonnen, ein magisches Pulver, das für Zeremonien verwendet wurde.

ZWÖLFTES KAPITEL
Die Initiation
    Das Fest begann bei Sonnenuntergang und dauerte die ganze Nacht. Die von Kopf bis Fuß bemalten Indianer sangen, tanzten und aßen, bis sie nicht mehr konnten. Es war sehr unhöflich, wenn man als Besucher Essen oder Trinken ablehnte, das einem angeboten wurde, und deshalb machten es Alex und Nadia wie die anderen und aßen, bis es ihnen zu den Ohren herauskam, denn sie wollten doch zeigen, dass sie wussten, was sich gehört. Die Kinder des Dorfes hatten große Schmetterlinge und Leuchtkäfer an lange Haare gebunden und liefen damit kreuz und quer zwischen den Hütten herum. Die Frauen waren mit Glühwürmchen geschmückt, hatten sich Orchideen und Federn an die Ohren gesteckt und Holzstäbchen durch die Lippen gezogen, und nun eröffneten sie das Fest, indem sie sich in zwei Gruppen aufteilten und singend in einen Wettstreit miteinander traten. Dann wurden die Männer zu einem Tanz aufgefordert, bei dem sie das Balzverhalten der Tiere in der Regenzeit nachahmten. Schließlich tanzten die Männer allein in einem Kreis, sprangen wie Affen, schlichen wie Jaguare und krochen wie Kaimane, um danach allen zu zeigen, wie stark und geschickt sie waren, ihre Waffen zu schwingen und akrobatische Sprünge zu vollführen. Alex und Nadia schwirrte der Kopf, ihnen war schwindlig von dem Schauspiel, dem Tamtam der Trommeln, dem Singsang, den Schreien, dem Lärmen des Urwalds um sie her.
    Mokarita hatte man in die Mitte des Dorfes gebettet, wo er die zeremoniellen Grüße aller Stammesmitglieder entgegennahm. Er trank zwar in kleinen Schlucken etwas masato , konnte aber nichts essen. Jetzt trat ein alter Mann zu ihm, von dem es hieß, er sei ein Heiler. Er war ganz mit einer Schicht aus trockenem Lehm bedeckt, hatte sich an manchen Stellen mit Harz eingerieben und weiße Federn daran geklebt, so dass er aussah wie ein eigenartiger, frisch geschlüpfter Vogel. Der Heiler hüpfte lange um den Verwundeten herum und stieß Schreie aus, um die Dämonen zu verjagen, dievom Körper des Häuptlings Besitz ergriffen hatten. Dann tat er, als saugte er die bösen Geister aus Bauch und Brust des Verletzten, richtete sich auf und spuckte sie weit von sich. Außerdem rieb er Mokarita mit einer Paste ein, die, wie Nadia erklärte, im Amazonasgebiet aus der Paranary-Pflanze gewonnen wird und bei der Wundheilung helfen soll; aber diese Wunden sah man gar nicht, und die ganze Behandlung blieb völlig wirkungslos. Alex nahm an, dass sich der Häuptling bei seinem Sturz ein Organ verletzt hatte, die Leber vielleicht, denn Stunde um Stunde wurde er schwächer, und ein Rinnsal aus Blut quoll aus seinem Mundwinkel.
    Als der Morgen graute, rief Mokarita Nadia und Alex zu sich und erklärte ihnen mit schwacher Stimme, dass vor ihnen noch nie ein Fremder Tapirawa-teri betreten habe.
    »Die Seelen der Nebelmenschen und die unserer Vorfahren sind hier zu Hause. Die Nahab kennen nur die Lüge und wissen nicht, was Gerechtigkeit ist, sie können unsere Seelen beschmutzen.«
    Sie aber seien bei den Nebelmenschen zu Gast, weil der große Schamane es so gewollt und ihnen gesagt habe, Nadia sei dazu ausersehen, ihnen zu helfen. Welche Aufgabe Alex bei den kommenden Ereignissen zu erfüllen habe, wisse er nicht, aber als Gefährte des Mädchens sei auch er in Tapirawa-teri willkommen. Nadia und Alex begriffen, dass er von Walimai und dessen Prophezeiung über den Rahakanariwa sprach.
    »Frag ihn, wie der Rahakanariwa aussieht«, bat Alex Nadia.
    »So und so. Er ist ein Vogel, der Blut saugt. Kein Mensch, er hat keinen Verstand, nie kann man wissen, was er tut, immer will er Blut, ist zornig und straft«, erklärte Mokarita.
    »Haben die Nebelmenschen große, glänzende Vögel gesehen?«, wollte Alex wissen.
    »Wir haben die Vögel gesehen, die Donner und Wind machen, aber sie haben uns nicht gesehen. Sie sind nicht der Rahakanariwa, das wissen wir, sie sehen ihm ähnlich, aber es sind die Vögel der Nahab. Sie fliegen nur am Tag, nie bei Nacht, deshalb hüten wir die Feuer, damit sie den Rauch nicht sehen. Deshalb leben wir verborgen. Deshalb sind wir das unsichtbare Volk.«
    »Aber früher oder später werden die Nahab kommen, das könnt ihr nicht verhindern. Was machen die Nebelmenschen dann?«
    »Meine Zeit im Auge der Welt geht zu Ende.

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