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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Der Häuptling, der nach mir sein wird, soll entscheiden.« Mokaritas Stimme brach.
    ~
    Mokarita starb bei Sonnenaufgang. Für Stunden erfüllten Klagerufe Tapirawa-teri: Keiner erinnerte sich an die Zeit vor diesem Häuptling, so viele Jahre hatte er den Stamm geführt. Die gelbe Federkrone, das Symbol seiner Macht, wurde auf einen Holzpfosten gelegt, wo sie bleiben sollte, bis ein Nachfolger bestimmt war, während die Nebelmenschen ihren Armschmuck abnahmen, die bunten Verzierungen von ihren Körpern wuschen und sich zum Zeichen ihrer Trauer mit Lehm, Kohlestaub und Asche bedeckten. Es herrschte große Verwirrung, denn in ihrer Vorstellung hatte der Tod nur sehr selten eine natürliche Ursache und wurde fast immer durch einen bösen Zauber heraufbeschworen, mit dem ein Feind jemandem Leid zufügen wollte. Dieser Feind musste gefunden und getötet werden, damit die Schattenseele des Verstorbenen zur Ruhe kommen konnte und die Lebenden nicht quälte. War der Feind Mitglied eines anderen Stammes, löste das manchmal einen Kriegszug aus, war es aber jemand aus dem Dorf, konnte er durch eine angemessene Zeremonie symbolisch »getötet« werden. Die Krieger hatten die ganze Nacht masato getrunken, und jetzt waren sie davon besessen, den Feind zu besiegen, der an Mokaritas Tod schuld war. Ihn zu finden und zu vernichten war eine Frage der Ehre. Dagegen schien niemand Mokaritas Platz einnehmen zu wollen, denn eine wirkliche Rangfolge gab es nicht, keiner war wichtiger als der andere, und als Häuptling hatte man lediglich mehr Pflichten. Mokarita war nicht aufgrund seiner Befehlsgewalt geachtet worden, sondern weil er so alt war und daher viel Erfahrung besaß und viel wusste. Die Stimmung unter den berauschten, erhitzten Kriegern konnte jeden Moment in Gewalttätigkeiten umschlagen.
    »Ich glaube, es ist Zeit, dass ich Walimai rufe«, raunte Nadia Alex ins Ohr.
    Sie zog sich an den Rand des Dorfes zurück, streifte die Kette ab und blies in den geschnitzten Knochen. Der spitze Schrei der Euleklang fremd in dieser Umgebung. Nadia hatte sich wohl vorgestellt, sie müsse bloß einmal kurz den Talisman benutzen, und wie durch Zauberei würde Walimai vor ihr erscheinen, aber sooft der Ruf auch ertönte, der Schamane ließ sich nirgends blicken.
    Die Spannung im Dorf wuchs von Stunde zu Stunde. Einer der Krieger ging auf Tahama los, und der zahlte ihm das mit einem Knüppelhieb heim, der ihn mit blutendem Schädel zu Boden streckte; etliche Männer mussten dazwischengehen, bis die Streithähne sich etwas beruhigt hatten und voneinander abließen. Endlich wurde entschieden, die Schwierigkeiten mit Hilfe von yopo zu lösen, dem grünen Pulver, das wie das masato den Männern vorbehalten war. Die Krieger teilten sich zwei und zwei auf und bliesen einander durch ein langes Rohr mit geschnitzter Spitze gegenseitig das Pulver direkt in die Nase. Das yopo drang ohne große Umwege ins Gehirn, und wie von einem Keulenhieb getroffen, stürzten die Männer unter Schmerzgeschrei hintenüber, dann kotzten sie, bekamen Zuckungen, grunzten und hatten Visionen, während ihnen aus Nase und Mund grüner Schleim lief. Das war nicht sehr appetitlich anzusehen, half den Nebelmenschen jedoch, sich in die Welt der Geister zu versetzen. Einige Männer verwandelten sich in Dämonen, andere schlüpften in die Seele von Tieren, manche konnten in die Zukunft sehen, aber keinem erschien der Geist Mokaritas, um den Feind zu benennen oder einen Nachfolger zu bestimmen.
    Alex und Nadia sahen kommen, dass dieses dämonische Spektakel in Gewalttätigkeiten enden würde, deshalb hielten sie sich abseits, taten keinen Mucks und hofften, nicht aufzufallen. Sie hatten kein Glück damit, denn urplötzlich wurde einem der Krieger durch eine Vision offenbart, dass der fremde Junge der Feind war, der Mokaritas Tod verschuldet hatte. Sofort rotteten sie sich zusammen, wollten den angeblichen Mörder des Häuptlings bestrafen und stürzten keulenschwingend auf Alex los. Das war nicht der Moment, einen Gedanken an die Flöte zu verschwenden, mit der er die aufgebrachten Krieger ja schon einmal hatte beruhigen können; wie eine Gazelle in wilder Flucht rannte Alex los. Alles, was jetzt noch helfen konnte, war die Angst, die doch bekanntlich Flügel verleiht, und die Tatsache, dass seine Verfolger nicht geradein der besten Verfassung waren. So beduselt, wie sie waren, torkelten sie herum, schubsten einander, und in dem ganzen Wirrwarr zogen sie sich gegenseitig die

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