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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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den Nebelmenschen gab es überhaupt jede Menge Tiere: Affen, die mit den Kindern aufwuchsen, kleine Hunde, denen die Frauen die Brust gaben wie ihren Säuglingen, Tukane, Papageien, Leguane und sogar einen altersschwachen gefleckten Jaguar, der überhaupt nicht angriffslustig war und hinkte. Die Boas waren gut genährt, im Allgemeinen völlig träge und bereit, sich von den Kindern als Spielzeug benutzen zu lassen. Alex musste an seine Schwester Nicole denken: Sie wäre vor Glück ganz aus dem Häuschen in diesem Zoo von handzahmen Urwaldtieren.
    ~
    Einen großen Teil des Tages verbrachten alle damit, das Fest vorzubereiten, mit dem am Abend die Heimkehr der Krieger und der Besuch der »weißen Seelen«, wie Nadia und Alex genannt wurden, gefeiert werden sollte. Jeder half mit, außer einem Mann, der abseits, am Rand des Dorfes auf der Erde saß. Dieser Indianer erfüllte das Reinigungsritual unokaimú , das vorgeschrieben war, wenn man jemanden umgebracht hatte. Alex erfuhr, dass man während des unokaimú mehrere Tage fasten und schweigen musste und sich nicht bewegen durfte, damit sich der Geist des Toten wieder nach und nach vom Brustbein des Mörders löste, denn nachdem er durch die Nase entwichen war, hatte er sich dort festgesetzt. Mit jedem Bissen, den der Mörder zu sich nahm, wurde der Geist seines Opfers fetter, bis sein Gewicht den Mörder erdrückte. Vor demreglosen Krieger, der das Reinigungsritual vollzog, lag ein langes Blasrohr aus Bambus, das mit sonderbaren Zeichen bemalt war, den gleichen, die Alex auf dem vergifteten Pfeil gesehen hatte, der das Herz des Soldaten während ihrer Flussfahrt von Santa María de la Lluvia durchbohrt hatte.
    Angeführt von Tahama, brachen einige Männer zum Jagen und Fischen auf, während sich ein paar Frauen zu den kleinen, im Wald versteckten Gärten aufmachten, um Mais und Bananen zu ernten, und andere Maniok zerstampften. Die kleinsten Kinder sammelten Ameisen und andere Insekten, die später gekocht werden sollten, die größeren Nüsse und Früchte, und einige kletterten so flink, dass Alex vor Staunen der Mund offen stand, auf einen Baum und schüttelten Honig aus einer Wabe, der zum Süßen gebraucht wurde, denn Zucker gab es keinen im Urwald. Die Kinder übten sich im Klettern, kaum dass sie laufen konnten, und lernten, über die Äste der höchsten Bäume zu rennen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Nadia wurde es schon vom Zugucken schwindlig, wenn sie da wie Affen hoch oben in den Baumkronen hingen.
    Alex bekam einen Korb in die Hand gedrückt, jemand zeigte ihm, wie er sich das Trageband über die Stirn legen musste, um ihn auf dem Rücken zu halten, und dann wurde er mit ein paar Gleichaltrigen losgeschickt. Eine ganze Weile liefen sie in den Wald hinein, hangelten sich an langen Stangen und Lianen über einen Fluss und erreichten schließlich eine Gruppe von schlanken Palmen, deren Stämme mit Stacheln gespickt waren. Weit oben, in mehr als fünfzehn Metern Höhe, hingen in großen Trauben gelbe Früchte, die aussahen wie Pfirsiche. Die Indianerjungen banden vier Äste zu zwei kräftigen Kreuzen zusammen. Eins davon verkeilten sie bis zur Gabelung so mit dem stachligen Stamm, dass das hintere Ende fast waagerecht über die Dornen hinausragte. Einer stieg auf das erste Kreuz, nahm das zweite, verkeilte es weiter oben am Stamm, kletterte darauf, griff nach dem unteren Kreuz, hob es über seinen Kopf und arbeitete sich so, behände wie ein Trapezkünstler, bis in die Baumkrone empor. Alex hatte zwar schon von dieser Meisterleistung gehört, bisher jedoch nie verstanden, wie das gehen sollte, ohne dass man sich an dem stachligen Stamm völlig zerkratzte. Von oben warf der Indianer die Früchte herunter, und die anderensammelten sie in den Körben. Die Frauen im Dorf würden sie später zerdrücken, mit Bananen mischen und eine Suppe zubereiten, die bei den Nebelmenschen als Delikatesse galt.
    Obwohl sie mit den Festvorbereitungen alle Hände voll zu tun hatten, war die Stimmung unter den Indianern entspannt und ausgelassen. Niemand wirkte abgehetzt, und es blieb sogar noch Zeit, für einige Stunden im Fluss zu baden. Alex planschte mit den anderen herum, fand die Welt wunderbar und dachte, dass er sich wohl nie wieder so frei fühlen würde wie hier. Als sie schließlich aus dem Wasser kamen, rührten die Mädchen in Tapirawa-teri verschiedene Pflanzenfarben an und bemalten alle Mitglieder des Stammes, selbst die Säuglinge, mit komplizierten Mustern.

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