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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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eine Impfung ist? Das verstanden sie ja selbst nicht so richtig, und schließlich entschieden sie sich dafür, zu sagen, es sei ein sehr mächtiger Zauber.
    »Die Nebelmenschen können sich nur durch die Zauberkraft dieser Frau retten«, sagte Nadia. »Und selbst wenn die Nahab und der Rahakanariwa dann kommen und Durst nach Blut haben, werden ihnen die Krankheiten kein Leid mehr zufügen.«
    »Aber anderes Leid können die Nahab uns zufügen. Dann ziehen wir gegen sie in den Krieg«, sagte Tahama.
    »Der Krieg gegen die Nahab ist keine gute Idee …« Nadia sah unglücklich aus.
    »Der künftige Häuptling muss eine Entscheidung treffen«, sagte Tahama.
    ~
    Walimai kümmerte sich darum, dass Mokarita nach den seit Generationen überlieferten Riten bestattet wurde. Obwohl sie damit Gefahr liefen, aus der Luft gesehen zu werden, schichteten die Indianer Holz für ein großes Feuer auf, und über Stunden verzehrten die Flammen den Körper des toten Häuptlings, während die Dorfbewohner seinen Fortgang mit Klageliedern betrauerten. Walimai bereitete einen magischen Trank zu, das machtvolle ayahuasca , das den Männern des Stammes helfen sollte, auf den Grund ihrer Herzen zu sehen. Auch Alex und Nadia lud er dazu ein, weil ihnen, wie er sagte, eine Aufgabe bevorstand, die wichtiger war als ihr Leben, und um die zu erfüllen, würden sie nicht nur die Hilfe der Götter brauchen, sondern mussten auch ihre eigenen Stärken kennen lernen. Die beiden wagten es nicht, nein zu sagen, obwohl das Gebräu ekelhaft schmeckte und sie sich sehr zusammenreißen mussten, um es zu schlucken und bei sich zu behalten. Erst geschah gar nichts, aber dann, urplötzlich, löste sich der Boden unter ihren Füßen in nichts auf, der Himmel füllte sich mit geometrischen Figuren in leuchtenden Farben, ihre Körper wirbelten wild herum, und sie spürten, völlig panisch, wie sie sich auflösten.Schon fühlten sie, wie der Tod nach ihnen griff, da wurden sie in schwindelerregendem Flug durch viele Kammern aus gleißendem Licht geschleudert, die Pforte zum Reich der Totemgötter öffnete sich, und sie wurden hineingestoßen.
    Alex spürte, wie seine Arme und Beine immer länger wurden und eine sengende Hitze ihn durchströmte. Er sah auf seine Hände: zwei Tatzen, die in scharfen Krallen endeten. Er riss den Mund auf und wollte schreien, aber es drang nur ein furchterregendes Brüllen aus seinem Innern. Er hatte sich in eine riesige Katze verwandelt: in den pechschwarzen, schimmernden Jaguar, den er im Hof von Mauro Carías gesehen hatte. Das Tier war nicht in ihm und er nicht in dem Tier; beide, er und die Raubkatze, waren zu einem einzigen Wesen verschmolzen. Unsicher machte Alex ein paar Schritte nach vorn, streckte sich, spannte die Muskeln an und merkte, dass er sich so geschmeidig, so schnell und kraftvoll bewegen konnte wie der Jaguar. Er spürte eine übernatürliche Energie in sich, und mit großen, katzenhaften Sprüngen fegte er durch den Wald. Mit einem Satz war er auf dem Ast eines Baumes und spähte mit seinen goldgelben Augen um sich, während sein schwarzer Katzenschwanz bedächtig hin und her schwang. Er wusste, er war mächtig, gefürchtet, einsam und unbesiegbar: der König des südamerikanischen Urwalds. Kein Tier konnte es mit ihm aufnehmen.
    Nadia stieg in die Lüfte, und für eine Weile verlor die Höhe für sie allen Schrecken. Sie musste ihre mächtigen Adlerschwingen kaum bewegen; der laue Wind trug sie, und sie brauchte bloß ein ganz kleines bisschen die Flügel zu bewegen, wenn sie Richtung und Geschwindigkeit ändern wollte. Gelassen zog sie hoch oben ihre Kreise, alle Sorgen waren von ihr abgefallen, und sie konnte die Welt unter sich ungerührt betrachten. Sie sah den Wald, die abgeflachten Gipfel der Tepuis, von denen manche eine Schaumkrone aus Wolken trugen; und da war auch die dünne Rauchsäule des Scheiterhaufens, auf dem der tote Häuptling Mokarita verbrannte. Genau wie der Jaguar am Boden, war Aguila , der Adler, hoch oben in den Lüften: unerreichbar, unbesiegbar. In weiten Bögen kreiste sie über dem Auge der Welt und spähte nach den Siedlungen der Indianer. Wie hundert Antennen übertrugen die gesträubtenFedern an ihrem Kopf die Wärme der Sonnenstrahlen, die Stärke der Windböen, das berauschende Gefühl der Höhe. Sie wusste: Diese Indianer brauchten ihre Hilfe, sie musste die Nebelmenschen beschützen. Sie überflog Tapirawa-teri, und wie eine Schleppe strich der Schatten ihrer weit aufgespannten

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