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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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um den ersten Menschen zu formen; sie sangen von dem Fluss aus Milch, der alle Saat des Lebens, aber auch Fäulnis und Tod in sich trägt; dass dieser Fluss in das Reich führt, wo die Schamanen wie Walimai sich mit den Geistern und anderen übernatürlichen Wesen trafen und von ihnen Weisheit und die Macht zu heilen empfingen. Sie sagten, alles, was besteht, ist ein Traum der Mutter Erde, jedes Gestirn erträumt seine Bewohner und alles, was in der Welt geschieht, ist eine Illusion, nichts als ein Traum inmitten anderer Träume. Trotz seiner Verwirrung begriff Alex, dass sie damit etwas in Worte fassten, was er selbst schon einmal empfunden hatte, dann schaltete er all seine Gedanken aus und überließ sich der sonderbaren Erfahrung, »mit dem Herzen zu denken«.
    ~
    Die Stunden verstrichen, und Alex verlor jedes Gefühl für Zeit, Raum und seine eigene Wirklichkeit, während er immer tiefer in einen Zustand lähmender Angst und Willenlosigkeit hinüberglitt. Irgendwann wurde er aufgehoben, sie stießen ihn vorwärts, und er musste laufen; da erst merkte er, dass es Nacht geworden war. Um ihn her dröhnten die Hörner, die Krieger fuchtelten mit ihren Waffen, und als die Gruppe am Ufer des Flusses angekommen war, tauchten sie Alex so oft unter Wasser, bis er meinte zu ertrinken. Sie rubbelten ihm mit rauen Blättern die schwarze Farbe vom Körper und zerrieben danach pfeffrig scharfes Pulver auf seiner brennenden Haut. Unter wildem Gebrüll schlugen sie mit Stangen auf seine Beine, seine Arme, Brust und Bauch ein, ohne ihn aber ernsthaft zu verletzen; sie bedrohten ihn mit ihren Lanzen, kamenmanchmal so nah, dass die Spitzen ihn berührten, stießen aber nicht zu. Sie setzten alles daran, ihm Angst einzujagen, und sie schafften es, denn wie hätte Alex verstehen sollen, was da vorging, und ruhig bleiben können, wo doch jeden Moment einer seiner Angreifer die Kontrolle verlieren und ihn tatsächlich umbringen konnte. Er wehrte die Hiebe und Drohungen der Krieger von Tapirawa-teri so gut es ging ab, aber sein Instinkt sagte ihm, dass er besser nicht versuchen sollte wegzulaufen, das wäre ja auch völlig sinnlos gewesen, in diesem Wald, der voller Gefahren steckte, mit denen er nicht allein fertig werden konnte. Das war sein Glück, denn hätte er zu fliehen versucht, hätte er als feige gegolten, und das wurde einem Krieger nicht verziehen.
    Aber lange würde er seine Panik nicht mehr im Griff haben, sie wuchs schon ins Unerträgliche, da erinnerte er sich an sein Totemtier. Er musste sich nicht sehr anstrengen, in die Gestalt des schwarzen Jaguars zu schlüpfen, die Verwandlung geschah schnell und mühelos: Dieses Brüllen, das aus seiner Kehle drang, hatte er schon einmal gehört, die Krallen an seinen Tatzen kannte er bereits, der Sprung über die Köpfe seiner Gegner schien ihm eine Selbstverständlichkeit. Mit ohrenbetäubendem Geschrei bejubelten die Indianer die Ankunft des Jaguars, und dann führten sie ihn in einer feierlichen Prozession zum heiligen Baum.
    Im Urwald tagte es bereits. Vor ihm stand Tahama und hielt vorsichtig zwischen zwei Stäben eine Art Schlauch aus geflochtenen Palmfasern: Aus allen Ritzen drängten Feuerameisen. Alex war von der langen Nacht und ihren Schrecken völlig erschöpft und verstand nicht gleich, was von ihm erwartet wurde. Dann jedoch atmete er tief ein, füllte seine Lunge mit der frischen Luft, richtete all seine Gedanken auf den Mut seines Vaters, des Bergsteigers, auf die Widerstandskraft seiner Mutter, die sich nie geschlagen gab, und auf die Stärke seines Totemtiers und steckte den linken Arm bis zum Ellbogen in den Schlauch.
    Die Ameisen krabbelten einige Sekunden über seine Haut, dann bissen sie zu. Es war, als verätzte ihm jemand den Unterarm bis auf die Knochen. Vor Schmerz wurde ihm schwarz vor Augen, aber er zwang sich, nahm all seinen Willen zusammen und zog den Arm nicht zurück. Was hatte Nadia über den Umgang mit denMoskitos gesagt? Wehr dich nicht, beachte sie einfach nicht. Völlig unmöglich, die Feuerameisen nicht zu beachten, und minutenlang kämpfte er verzweifelt gegen den rasenden Wunsch, wegzurennen und sich in den Fluss zu stürzen, als er plötzlich merkte, dass er den Drang zu fliehen steuern, den Schmerzensschrei in seinem Innern unterdrücken konnte, wenn er sich ganz der Qual überließ, ihr keinen Widerstand entgegensetzte, sie bis in die letzte Faser seines Körpers und den hintersten Winkel seines Bewusstseins in sich aufnahm. Und da

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