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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Vögeln, die Donner und Wind machen, zu verhandeln: der fremde Junge, genannt Jaguar. Ein Häuptling, um die Götter zu besuchen: Walimai. Ein Häuptling der Häuptlinge: Iyomi.«
    Eine ziemlich weise Entscheidung von dieser alten Frau, die ihre Macht aufteilte, damit die Nebelmenschen den schweren Zeiten, die ihnen bevorstanden, die Stirn bieten konnten. Und eine ziemliche Zwickmühle für Nadia und Alex, die sich plötzlich einer Verantwortung gegenübersahen, der sich keiner von beiden gewachsen fühlte.
    Sofort erteilte Iyomi auch ihre dritte Anweisung. Sie sagte, das Mädchen Aguila müsse ihre »weiße Seele« bewahren, damit sie dem Rahakanariwa entgegentreten konnte, denn andernfalls drohe der menschenfressende Vogel sie zu verschlingen. Der fremde Junge aber, Jaguar, müsse sich in einen Mann verwandeln und die Waffen des Kriegers erhalten. Jeder Mann musste, ehe er die Waffen führte oder sich verheiratete, als Kind sterben. Alex hatte schon einmal etwas über diesen Ritus der Initiation gelesen, nämlich, dass der normalerweise drei Tage dauerte und alle Jungen eines Stammes daran teilnahmen, wenn sie die Pubertät erreicht hatten. Aber Iyomi sagte, für die traditionelle Zeremonie bleibe ihnen nicht genug Zeit, Jaguar müsse eine kürzere Probe durchlaufen, weil er Aguila auf ihrer Reise zum Berg der Götter begleiten sollte. Die Nebelmenschen seien in Gefahr und könnten nur durch die Hilfe dieser beiden Fremden gerettet werden, daher müssten sie bald aufbrechen.
    Walimai und Tahama wurden damit beauftragt, denInitiationsritus für Alex vorzubereiten, an dem nur die erwachsenen Männer des Stammes teilnehmen würden. Später sollte Alex Nadia erzählen, dass alles vielleicht weniger schrecklich gewesen wäre, hätte er bloß vorher gewusst, worin die Zeremonie bestand. Unter Iyomis Aufsicht rasierten die Frauen ihm mit einem scharfen Stein die kreisrunde Tonsur, was ziemlich wehtat, denn die Wunde, die er bei seiner Entführung davongetragen hatte, war noch nicht ganz verheilt. Sie riss wieder auf, als sie darüberschabten, hörte aber rasch auf zu bluten, weil die Frauen etwas Lehm darauf verrieben. Danach wurde er unter schallendem Gelächter von Kopf bis Fuß mit einer Paste aus Harz und Kohlestaub schwarz angemalt. Und nun war es Zeit, sich von Nadia und Iyomi zu verabschieden, denn sie durften an der Zeremonie nicht teilnehmen und würden mit den anderen Frauen und den Kindern den Tag im Wald verbringen. Erst am Abend, wenn die Krieger Alex mitgenommen hätten, damit er die Probe bestand, die Teil der Initiation war, würden sie wieder ins Dorf zurückkehren.
    Tahama und seine Krieger gruben die heiligen Instrumente, die nur für den Initiationsritus der Männer benutzt wurden, aus dem Schlick des Flusses. Es waren dicke, anderthalb Meter lange Rohre, die heiser und dumpf tönten wie das Brüllen eines Stieres, wenn man hineinblies. Die Frauen und diejenigen Jungen, die den Ritus der Initiation noch nicht durchlaufen hatten, durften die Instrumente nicht zu Gesicht bekommen, weil sie sonst Gefahr liefen, krank zu werden und durch einen Zauber zu sterben. Die Instrumente standen für die männliche Kraft des Stammes und stellten ein Band zwischen Vätern und Söhnen her. Ohne diese Hörner hätte die ganze Kraft bei den Frauen gelegen, die über die göttliche Gabe verfügten, Kinder zu gebären oder, wie die Indianer sagten, »Menschen zu machen«.
    Der Ritus begann am Morgen und sollte den ganzen Tag und die Nacht dauern. Sie gaben Alex bittere Beeren zu essen und hießen ihn, sich zusammengekrümmt auf die Erde zu legen, und dann stellten sich die bemalten und mit den Symbolen der Dämonen geschmückten Krieger unter Walimais Anweisung in einem engen Kreis um ihn auf, stampften auf den Boden und rauchten aus Blättern gedrehte Zigarren. Durch die bitteren Beeren, die Furcht und den Qualm fühlte sich Alex schon bald ziemlich krank.
    Lange tanzten die Krieger um ihn herum zu einem ununterbrochenen Singsang und dem dumpfen Dröhnen der heiligen Hörner, deren eines Ende dicht neben seinem Kopf den Boden berührte. Es hallte in seinem Schädel wider und raubte ihm jeden klaren Gedanken. Stunde um Stunde hörte er die Gesänge, in denen immer wieder die Geschichte von Vater Sonne erzählt wurde, der jenseits der sichtbaren Sonne wohnt, die den Himmel erleuchtet; es ist ein unsichtbares Feuer, aus dem einst alles Leben entstand; er hörte von dem Blutstropfen, der vom Mond auf die Erde gefallen war,

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